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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Wagner
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zerschnipselte sie und warf sie aus dem Fenster. Einen Moment trieben die Schnipsel ruhig in der Luft, dann riss ein Wind sie jäh auseinander und in die Höhe. Polly reichte mir die Gießkanne, und ich klappte den Laptop auf und ertränkte ihn. Langsam und gründlich.
    „Und jetzt“, sagte ich und griff nach dem Telefon, „… rufen wir die Polizei.“
    „Mila! Pass auf!“ Eine Bewegung direkt hinter mir ließ mich herumfahren. „Mila!“, schrie Polly wieder, da war das Messer schon in meinen Oberarm gefahren und wieder draußen.
    „Das wirst du nicht!“, zischte er. Er war zwar immer noch an den Stuhl gefesselt, aber irgendwie war es ihm gelungen, das Messer vom Tisch in seine Hände zu bekommen. Hatte die Hände befreit. Hätte Polly mich nicht zur Seite gerissen, hätte er meine Nieren getroffen.
    „Ich mach dich fertig!“, sagte er. „Das war erst der Anfang.“
    Ich spürte keinen Schmerz.
    „Ich hab Ihnen das Leben gerettet“, flüsterte ich. Und fuhr mit der Hand über meinen Arm. Die Hand war voller Blut. Es tropfte auf den Boden.
    Über sein Gesicht glitt ein Lächeln. Dünn wie ein haarfeiner Schnitt.
    Da hörte ich ein Jammern von der Türschwelle.
    „Vincent!“, rief Polly. „Verschwinde hier!“ Doch er kam herein und presste sich zitternd an Pollys Bein. Witterte. Er witterte das Adrenalin und die Erniedrigung, die jede Pore dieser Wohnung zweimal in der Woche aufgesogen haben musste.
    „Ich hab Ihnen das Leben gerettet“, sagte ich noch einmal. Ich sah zu Polly, dann zu Vincent, der einen Buckel machte und Flössow anfauchte. Alles war plötzlich wie in Sirup getaucht. Die Zeit schien dickflüssig, jeder Gedanke zog sich ins Unendliche. Polly und ich tauschten einen Blick.
    „Aber Sie verdienen es nicht!“, sagte Polly, hob Vincent an ihr Gesicht und gab ihm einen Kuss auf die Schnauze. „Ich komme wieder“, sagte sie.
    Wir verließen die Wohnung ohne Vincent. Wir schlossen sie von außen ab. Wir schoben die Felsbrocken vor die Tür.
    „Hol das verdammte Vieh raus“, schrie Flössow, „Hol es raus, du Schlampe, du verdammte …“
    Die Musik von Bines Party hallte durchs ganze Haus und ich schloss die Augen und hörte die Stimme des Arztes. Die Blutgefäße erweitern sich, dadurch fällt der Blutdruck ab … Ich presste die Fäuste an die Schläfen, presste, so fest ich konnte.
    Unheilig sang. Seine gekünstelte Stimme hallte durch die Etagen, brachte das Blech zum Schwingen … war’n geboren um zu leben, mit den Wundern jener Zeit … Die Musik und das Gekreische überdeckten Flössows Stimme, überdeckten alles. Der Puls verflacht , redete der Arzt in meinem Kopf, während Polly mir ein Handtuch brachte, das ich auf die Wunde drückte. Organe werden nicht mehr durchblutet . Polly warf Sachen in unseren Koffer. Bines Wohnungstür unten ging auf und zu, auf und zu, ich hörte Gelächter, hörte Unheilig immer weiter und weiter singen … war’n geboren um zu leben, für den einen Augenblick, bei dem jeder von uns spürte, wie wertvoll Leben ist …
    Dann war es still bei Flössow.
    - - -
    „Vincent?“, flüsterte Polly durch den Türspalt, „Vincent?“
    Fast in derselben Sekunde war er da, kam durch den Türspalt, rannte Polly in die Arme, schmiegte sich an sie, und während sie sie ihn hochnahm und beruhigend auf ihn einredete, miaute er und miaute. Ich schloss die Tür wieder leise, drehte den Schlüssel im Schloss herum und schob den Felsen zurück.
    „Jetzt können wir“, sagte Polly.
    - - -
    „Sie haben echtes Glück gehabt“, sagte der Arzt, der meinen Arm behandelte und verband. „Es hätten lebenswichtige Gefäße und Nerven getroffen werden können. Das Messer hat wie durch ein Wunder nur die Muskulatur getroffen. Wie genau ist das passiert? Sie wissen, dass ich das fragen muss?“
    Ich nickte und ratterte, wie schon bei der Schwester in der Notaufnahme, die Geschichte von der missglückten Kochparty herunter, von der Freundin, die das Messer unglücklich gehalten hatte, als ich mit Schwung auf sie zugelaufen war.
    Er sah mich aufmerksam an.
    „Als Arzt bin ich bei Stichverletzungen verpflichtet, Ihre Personalien aufzunehmen.“
    Ich kramte in meiner Tasche und hielt ihm meinen Ausweis hin.
    Als ich das Krankenhaus verließ, steckte ich einen Brief in den Kasten an der Eingangstür. Auf dem Umschlag stand: Für Dr. Jäger. Morgen früh würde der Kasten geleert werden. In der Wohnung 3/01 Hafenstraße 3 liegt ein Toter. Es ist B. Flössow. Ich habe ihn

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