Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
noch um Geduld bitten. Hierüber darfst du zu keiner Zeit sprechen.«
Nysanders Stimme duldete keinen Widerspruch. Seregils Brauen zogen sich über den grauen Augen zusammen. »Wegen dieser Sache hier verbrachte ich die vergangenen zwei Wochen im Bett. Ganz zu schweigen von dem Wahn, der sich meiner bemächtigt hatte, oder den Alpträumen und dem Drang, jeden in Reichweite umzubringen, was auch Alec nicht ausschloß!«
»Du mußt Geduld haben.«
»Weswegen muß ich geduldig sein?« gab Seregil zurück. »Ich möchte wissen, wer mir das angetan hat! Weißt du es oder nicht?«
Nysander seufzte und setzte sich in die Fensternische. »Ich sollte meinen, daß du selbst es dir angetan hast. Zunächst hast du das Ding gestohlen und es dir dann um den Hals gehängt. Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich weiß, daß du es in meinem Auftrag getan hast. Trotzdem werde ich …«
»Weich nicht vom Thema ab. Das ist normalerweise meine Methode!« unterbrach ihn Seregil hitzig. »Ich bin keiner deiner anderen Nachrichtenüberbringer. Was geht hier vor sich?«
Alec blickte erwartungsvoll von einem zum anderen. Seregil hatte die Lippen zusammengepreßt, und seine Augen wirkten größer denn je in dem hageren Gesicht, als er den Zauberer finster anstarrte. Aber Nysander nahm den wuterfüllten Blick des Freundes ruhig auf.
»Seregil í Korit Solun Meringil Bôkthersa«, sagte er ruhig, dabei rollte er die Silben, als wäre es ein Zauberspruch. »Das ist eine Angelegenheit jenseits persönlicher Rache. Das Mal, das zu trägst, ist ein magisches Siegel, dessen Bedeutung preiszugeben mir durch höchste Eide versagt ist.«
»Warum hast du dann Valerius verboten, es abzunehmen?«
Nysander breitete resigniert die Hände aus. »Du verstehst besser als so mancher die Gabe der Voraussicht. Es erschien mir zu dem Zeitpunkt als unklug. Jetzt, da du stärker bist, werde ich es mit Hilfe eines Zaubers verbergen.«
»Aber es wird trotzdem noch hier sein«, sagte Seregil, und es klang unbehaglich. »Ich – ich hatte die seltsamsten Träume, nachdem Alec das Ding abnahm, sie waren anders als die Alpträume zuvor.«
Nysander erhob sich erschrocken. »Beim Licht, warum hast du das nicht früher gesagt?«
»Das tut mir leid, aber ich erinnere mich ohnehin nur an Bruchstücke.«
Nysander setzte sich auf die Bettkante. »Du mußt mir alles erzählen! Bei deinem Schwur als Beobachter …«
»Ja, ja, ich weiß!« schnappte Seregil und rieb sich die Augenlider. »Wenn ich versuche, mich zu erinnern, ist es, als greife man eine Handvoll Aale. Eine Sekunde lang erinnere ich mich an etwas, dann ist es plötzlich wieder fort.«
»Nysander, er sieht krank aus!« flüsterte Alec. Seregil war blaß geworden, und auf seiner Stirn stand Schweiß.
»Es ging mir fürchterlich schlecht, als wir die Herberge an der Kreuzung erreichten«, fuhr Seregil heiser fort. »Alec, du hattest keine Ahnung – ich hatte kaum mehr Bezug zur Welt um mich. Ich war in einem Alptraum gefangen und konnte nicht aufwachen. Ich wußte nicht, wo in Mycena wir uns befanden. Die düstere Gestalt war uns den ganzen Tag ständig gefolgt. Alec sah sie nicht, auch nicht, als sie ihn auf dem Karren berührte, und das ängstigte mich am meisten. Alec erzählte dir, wie ich ihn in dieser Nacht angriff, aber mir erschien das alles gänzlich anders! Das Ding griff mich an, oder vielmehr ließ es mich angreifen und wich dann aus. In diesem Moment muß Alec ins Zimmer gekommen sein, und ich war zu sehr im Wahn gefangen, um ihn zu erkennen. Bei den Göttern, ich hätte ihn vielleicht umbringen können …«
»Das war Magie, lieber Junge, Schwarze Magie«, sagte Nysander leise.
Seregil schauderte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Danach brach ich zusammen. Ich träumte stets, ich sei auf der kahlen Ebene. Ich konnte mich nicht bewegen. Alles, was ich sah, war der Wind und graues Gras. Ich war allein. Zunächst glaubte ich, tot zu sein.«
Alec beobachtete ihn mit wachsender Besorgnis. Sein Freund war blaß, und der Atem ging schwer, als bräuchte er alle Kraft, nur um zu sprechen. Alec blickte besorgt zu Nysander, der aber richtete alle Aufmerksamkeit auf den Kranken.
»Nach einer Weile war jemand anderer da«, fuhr Seregil fort. Er hatte die Augen fest geschlossen, und eine Hand war erhoben, als wolle er einen Schlag abwehren. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer, nur – Gold. Und Augen, es hat etwas mit Augen zu tun …«
Seine Brust hob und senkte sich nun schwer, und Alec
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