Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
sie.
»Ich habe gerade einen alten Bekannten gesehen«, erwiderte er mit finsterem Grinsen. »Ich bin gleich zurück.«
Mittlerweile hatte er genug von Seregil gelernt, um sich den Dieben unbemerkt nähern zu können. So nahm er sich Zeit und wartete ab, bis sie dem nichtsahnenden Opfer den Geldbeutel gestohlen hatten, dann schritt er von hinten heran und packte Tym am Arm. Sein Triumph war allerdings nur von kurzer Dauer, und nur Micums Unterricht der vergangenen Woche rettete ihn.
Seine neu geschärften Instinkte ließen ihn die blitzschnelle Bewegung des Diebs gerade noch rechtzeitig erahnen. Alec fing den Arm oberhalb des Handgelenks ab und hielt damit Tyms Dolchspitze nur ein paar Handbreit vor seinem eigenen Bauch fest.
Tyms Augen verengten sich zu gefährlich dreinblickenden Schlitzen, als er versuchte, seinen Arm loszureißen. Es war leicht, seine Absicht zu durchschauen. Das Mädchen trat dazwischen, um die Messerhand ihres Kumpanen abzudecken, und Alec flehte insgeheim die Götter an, sie möge selbst kein Messer bereithalten. Im Gedränge könnte sie ihn leicht erstechen und verschwinden, bevor jemand begriff, was geschehen war. Sie griff nicht an, doch Alec spürte, wie sich Tym anspannte.
»Wir haben einen gemeinsamen Freund, du und ich«, sagte Alec leise zu ihm. »Er würde es dir sicher sehr übelnehmen, wenn du mich umbrächtest.«
»Und wer sollte das sein?« fauchte Tym zurück und versuchte immer noch, sich Alecs Griff zu entziehen.
»Es ist ein Trick, Liebster«, warnte das Mädchen den Dieb. Sie war kaum älter als Elsbet. »Mach ihn fertig und komm weiter.«
»Halt den Mund!« grollte Tym und starrte Alec weiterhin wütend an. »Ich habe etwas gefragt. Wer soll dieser gemeinsame Freund denn sein?«
»Ein gutaussehender, großzügiger Bursche von jenseits des Meeres«, antwortete Alec. »Ein Mann, der auch im Schatten ziemlich gut mit dem Schwert umgehen kann.«
Tym starrte ihn noch einen Augenblick lang an, und dann entspannte er sich mit mürrischer Miene. Alec ließ sein Handgelenk los.
»Er hätte dir beibringen sollen, sich niemals von hinten an einen Bruder anzuschleichen, es sei denn, du willst ihn fertigmachen!« zischte Tym und zog mit einem Ruck das Mädchen an seine Seite. »Hättest du das in irgendeiner kleinen Gasse getan, dann würdest du jetzt tot dort liegen.« Er warf Alec noch einen Blick voller Verachtung zu, und dann verschwand er mit dem Mädchen in der Menge.
»Hast du deinen Freund noch erwischt?« fragte ihn Beka, als Alec wieder erschien.
»Nur einen Moment lang.« Alec saß auf und wickelte sich den Zügel um die Hand, die noch ein wenig zitterte.
Vom Markt aus ritten sie in Richtung Süden zum Kasernentor am Park der Königin, dort zeigte Beka ihre Papiere dem wachhabenden Offizier. Schließlich umarmte sie zum Abschied ihren Vater und Alec und ritt hinein, ohne sich noch einmal umzusehen.
Micum sah ihr durch das Tor hinterher, bis sie außer Sicht war, dann seufzte er tief und ließ sein Pferd wenden, um zurück zum Erntemarkt zu reiten. »Na ja, nun hat sie endlich ihr Ziel erreicht.«
»Machst du dir Sorgen ihretwegen?« fragte Alec.
»Vor einem Jahr noch hätte ich mir keine gemacht, da gab es noch keine Anzeichen für einen Krieg im Frühjahr. Jetzt wird der Krieg wohl nicht mehr zu vermeiden sein, und du kannst darauf setzen, daß die Garde der Königin zu den ersten gehören wird, die man in den Kampf schickt. Das läßt ihr nicht viel Zeit, um sich an alles zu gewöhnen. Nicht mehr als fünf oder sechs Monate, vielleicht sogar weniger.«
»Überlege doch, wieviel ich von Seregil in den wenigen Monaten gelernt habe«, versuchte Alec ihn aufzumuntern, als sie zum Hahn ritten. »Ich konnte fast gar nichts. Beka kann bereits mit dem Schwert und auch mit dem Bogen so gut umgehen wie die allerbesten, und sie reitet, als sei sie auf einem Pferderücken geboren worden.«
»Das stimmt natürlich«, gab Micum zu. »Sakor bevorzugt die Kühnen.«
In der Blaufischstraße angekommen, schlüpften sie durch den Hintereingang des Hahns und eilten mit tief herabgezogenen Kapuzen durch den Vorratsraum, durch die Tür dahinter und dann die Treppe hinauf. Micum übernahm auf der verborgenen Treppe die Führung und sprach die Schlüsselworte, die die magischen Zeichen zum Glühen brachten, mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Seregil.
Als er ihm durch die Dunkelheit folgte, wurde Alec bewußt, daß auch Micum über die Jahre hinweg oftmals hier
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