Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
und gleichzeitig den letzten überlebenden Erben des Sir Gareth von Efeuquell, einem vornehmen, aber verarmten Baron aus Mycena. Sir Gareth hoffte, seinem Nachkommen gute Aufstiegsmöglichkeiten zu verschaffen, indem er ihn als Mündel einem alten und vertrauenswürdigen Freund anvertraute, nämlich Lord Seregil von Rhíminee.«
»Kein Wunder, daß er als armer Mann starb«, warf Micum trocken ein. »Sir Gareth scheint ein Mann mit zweifelhafter Urteilsfähigkeit gewesen zu sein.«
Seregil ignorierte die Bemerkung und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Alec. »Dadurch, daß wir die mittlerweile in alle Winde verstreuten und ohnehin erfundenen Güter von Efeuquell in den hintersten Winkel Mycenas verlegen, schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe. Alle ungewöhnlichen Manieren, die sie an dir entdecken, werden selbstverständlich deiner ländlichen Erziehung zugeschrieben. Die Möglichkeit, daß jemand vielleicht einen gemeinsamen Bekannten aus dieser Gegend nennt, dürfte auch ziemlich gering sein. Also ist Sir Alecs Abstammung wohl vornehm genug, aber auch in ausreichendem Maße verschleiert.«
»Die Tatsache, daß er weder aus Skala kommt noch ein Aurënfaie ist, macht ihn gewiß zu einem verlockenden Objekt für alle Leraner, die darauf hoffen, Lord Seregil an den Kragen gehen zu können«, fügte Micum hinzu.
»Ein Zicklein also«, sagte Alec.
»Was?« staunte Seregil lachend.
»Ein Zicklein, ein Köder«, erklärte er. »Wenn du etwas Großes in eine Falle locken willst, einen Bären oder einen Berglöwen, dann bindet man ein Zicklein an einen Baum und wartet, bis das Raubtier erscheint.«
»Also gut. Dann bist du unser Zicklein. Falls Bären auftauchen, dann sei nur einfach so süß und unschuldig, wie es deiner Natur entspricht, erzähl ihnen alles, was wir sie wissen lassen wollen, und berichte mir alles, was sie sagen.«
»Aber wie wollen sie sich mir denn nähern?« fragte Alec.
»Das wird ihnen nicht schwerfallen. Lord Seregil ist ein geselliger Typ. In seinem Haus in der Oberstadt gibt er oft Gesellschaften, und diese Nachricht verbreitet sich schnell. Ich bin sicher, daß die Neuigkeit bald die richtigen Ohren erreichen wird. In Kürze veranstalten wir ein großes Fest, um dich in die Gesellschaft von Rhíminee einzuführen.«
Micum schenkte seinem Freund ein verschwörerisches Lächeln. »Du alter ränkeschmiedender Bastard. Was hast du dir denn noch alles einfallen lassen, während wir weg waren?«
»Nun, es hat mich zwar viel Zeit gekostet, aber ich glaube, jetzt habe ich unseren Fälscher entlarvt. Erinnerst du dich noch an Meister Alben?«
»Dieser erpresserische Apotheker, bei dem du vor ein paar Jahren während dieses Auftrags für Lady Mina eingestiegen bist?«
»Das ist er. Er hat sein Geschäft mittlerweile in die Straße des Hirschen verlegt.«
»Wie hast du ihn aufgespürt?«
»Ich war mir ziemlich sicher, daß Ghemella das Siegel gefälscht hat. Da sie ebenfalls gestohlene Dokumente kauft, habe ich ihr ein paar von meinen zugespielt, und gestern nacht hat sie mich geradewegs zu ihm geführt. Jetzt muß ich nur noch herausfinden, wo er seine Schätze verbirgt, um festzustellen, ob ich dort etwas Nützliches finden kann. Falls er es war, der diesen Brief von mir gefälscht hat, so ist es durchaus wahrscheinlich, daß er für sich selbst auch noch ein oder zwei Kopien angefertigt hat, um so noch mehr daran verdienen zu können. Und sollten wir diese in unsere Hände bekommen, können wir ihn ausquetschen, damit er uns Namen nennt.«
»Das also ist unsere Aufgabe heute abend?« fragte Alec mit unternehmungslustigem Funkeln in den Augen. »Je eher wir deinen Namen reinwaschen, desto besser.«
Seregil lächelte. »Eure Sorge um meine angeknackste Ehre ist mehr als willkommen, Sir Alec, aber auf diese Aufgabe müssen wir uns noch mindestens einen Tag lang vorbereiten. Sei nicht enttäuscht. Ich habe alles wohl überlegt. Ich glaube allerdings, daß die kleine Übung, die du in der Zwischenzeit absolvieren sollst, durchaus deinen neu erworbenen Fähigkeiten gerecht wird.«
Die Radstraße, eine ruhige, respektable Durchgangsstraße mit bescheidenen Villen, deren Gärten sich meist an der Rückseite befanden, lag am Rand der Oberstadt. Alec, der gut gekleidet war, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, schlenderte kurz nach Einbruch der Dunkelheit neben Seregil und Micum einher: drei Edelmänner, die die Nachtluft genießen wollten.
Die schmalen Häuser waren im typischen
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