Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
heraufgekommen sein mußte, und auch er war sicherlich immer willkommen gewesen. Alles, was Alec über die Freundschaft der beiden erfahren hatte, schien ihm plötzlich zusammenzupassen und sich zu einer langen Geschichte zu verweben, an der er selbst erst kurz hatte teilhaben dürfen.
Sie kamen an die letzte Tür und traten aus der Dunkelheit in das beleuchtete wilde Durcheinander des Wohnzimmers. Ein prasselndes Feuer tauchte den Raum in einen sanften Schein. Alles hier schien noch unordentlicher als sonst, was im Grund an sich kaum mehr möglich war. Kleidungsstücke jeder Art hingen über Stuhllehnen oder lagen aufgestapelt in Ecken herum; Teller, Papiere und Stücke verschrumpelter Obstschalen verunstalteten jede freie Fläche. Alec entdeckte einen Krug, den er eine Woche zuvor auf den Eßtisch gestellt hatte, ungespült am gleichen Fleck stehen, als wolle er bis zu Alecs Wiederkehr sein Recht auf Anwesenheit untermauern. Frische Metallspäne, Holzmehl und Werkzeug lagen ungeordnet neben der kleinen Esse auf der Werkbank am Fenster.
Der einzige freie Fleck im ganzen Zimmer war die Ecke, in der Alecs Bett stand. Dort lag ein feines Gewand säuberlich zusammengelegt, und am Kopfkissen lehnte ein großes Schild mit den Worten: »Willkommen daheim, Sir Alec!« Es war in fließender, roter Schrift geschrieben waren.
»Man gewinnt den Eindruck, als sei er beschäftigt gewesen!« kommentierte Micum, als er das Durcheinander betrachtete. »Seregil, bist du zu Hause?«
»Hallo?« erklang eine schläfrige Stimme von irgendwo hinter der Couch.
Alec und Micum schritten um die Couch herum und fanden ihn lang ausgestreckt auf einem Lager von Kissen, Büchern und Schriftrollen mitsamt der Katze auf der Brust vor.
Seregil räkelte sich faul. »Wie ich sehe, habt ihr euch nicht gegenseitig umgebracht. Wie ist es gelaufen?«
Micum grinste breit und setzte sich auf die Couch.
»Hervorragend, sobald ich ihm all deine falschen Lehren ausgetrieben hatte. Du könntest ein paar Überraschungen erleben, wenn du das nächste Mal mit ihm die Klingen kreuzt.«
»Gut gemacht, Alec!« Seregil schob die Katze zur Seite, stand auf und streckte sich noch einmal. »Ich wußte, daß du den Bogen rausbekommen würdest. Und keinen Augenblick zu früh. Es könnte sein, daß ich heute nacht einen Auftrag für dich habe.«
»Einen Auftrag der Rhíminee-Katze?« fragte Alec voller Hoffnung.
»Natürlich. Was hältst du davon, Micum? Es ist ein einfacher Über-den-Sims-und-wieder-hinaus-Auftrag in der Straße des Rades.«
»Warum denn nicht? Er ist zwar noch nicht soweit, um den Palast zu stürmen, aber mit einer solchen Sache sollte er eigentlich zurechtkommen, wenn er sich geschickt verhält und nicht zu viel Aufmerksamkeit erregt.«
Seregil fuhr spielerisch mit der Hand durch Alecs Haar.
»Dann ist alles klar. Es ist dein Auftrag. Ich schätze, das hier sollte ich dir mitgeben.«
Mit grandioser Geste holte Seregil ein kleines, in Seide gewickeltes Päckchen hervor und überreichte es Alec.
Es war schwer. Alec entfernte die Verpackung und hielt eine Werkzeugrolle in der Hand, wie auch Seregil sie immer bei sich trug.
Er öffnete die Lederhülle und strich mit den Fingerspitzen über die kunstvoll geschnitzten Griffe von Dietrichen, Schlüsseldrähten, Haken und den eines winzigen Lichtstabs. In die Innenseite der Lederhülle war ein kleiner Halbmond aus mattem Silber als Zeichen Illiors eingenäht.
»Ich hielt den Zeitpunkt für gekommen, daß du dein eigenes Werkzeug besitzt«, sagte Seregil, der sich sichtlich über Alecs sprachloses Entzücken freute.
Alec blickte hinüber zu der kleinen Esse. »Das hast du alles selbst angefertigt?«
»Nun ja, es ist nicht gerade die Art von Werkzeugen, die man auf dem Markt kaufen kann. Außerdem brauchst du noch einen neuen gesellschaftlichen Hintergrund. Darüber habe ich mir einige Gedanken gemacht.«
Micum nickte in Richtung des kleinen Abzeichens. »Sir Alec?«
»Von Efeuquell, nichts Geringeres!« Seregil bedachte Alec mit einer leichten Verbeugung, ehe er sich Micum gegenüber auf die Couch fallen ließ. »Er stammt aus Mycena.«
Alec ging zum Bett und betrachtete die für ihn ausgelegte Kleidung genauer.
»Also wird Lord Seregil wie gewöhnlich zu dieser Zeit in die Stadt zurückkehren, um sich auf das Sakor-Fest vorzubereiten. Habe ich recht?« schloß Micum aus dem Erfahrenen. »Und diesmal nicht allein?«
Seregil nickte. »Ich bringe den jungen Sir Alec mit, das einzige Kind
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