Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
aus der Teekanne entgegengeschlagen war. Alec räumte das Geschirr ab und kehrte mit einem Krug Wasser und etwas Brot zurück.
»Du mußt wenigstens etwas zu dir nehmen«, drängte Alec und drückte Seregil einen Becher mit Wasser in die Hand.
Seregil nickte und trank rasch, dabei gab er sich Mühe, das unangenehme Gefühl zu ignorieren, das er auf der Zunge verspürte.
»Das wirst du nicht lange durchhalten«, grämte sich Alec. »Kannst du wenigstens etwas Brot zu dir nehmen? Es kommt frisch aus dem Backofen der Kombüse.«
Alec wickelte die dicke Scheibe aus dem Tuch. Der köstliche Duft des frisch gebackenen Brotes stieg hoch, und Seregil griff erwartungsvoll nach der Scheibe. Als er sie jedoch nehmen wollte, quollen Maden daraus hervor und fielen durch die Finger des Jungen auf den Boden.
Seregil verzog das Gesicht und wandte den Blick ab. »Nein, ich glaube auch, es wäre besser, wenn du deine Mahlzeiten nicht hier einnimmst, bis das hier vorüber ist.«
Sie setzten an diesem Morgen den Schreibunterricht in ihrer Kajüte fort. Seregil hatte in seinem Gepäck einige Pergamentrollen, Federn und einen Tintentopf. Alec sah aufmerksam zu, wie Seregil die Buchstaben aufschrieb.
»Und jetzt versuchst du es«, forderte er Alec auf und reichte ihm die Feder. »Jeden meiner Buchstaben zeichnest du nach, und ich sage dir, wie er ausgesprochen wird.«
Alec wußte über das Schreiben mit einer Feder ebensowenig wie über die Kunst, ein Schwert zu führen, daher erteilte Seregil ihm zunächst eine kurze Lektion darüber. Bald war er bis zum Handgelenk hin voller Tinte, aber Seregil sah, daß er Fortschritte machte, und sagte nichts. Nachdem Alec sich die Buchstaben eingeprägt hatte, nahm Seregil die Feder und schrieb ihre beiden Namen, dann die Worte ›Bug‹, ›Schiff‹ und ›Pferd‹. Er setzte die eleganten Schriftzüge neben Alecs Gekritzel.
Alec sah mit wachsendem Interesse zu. »Dieses Wort, das bin ich?«
»Jeder, der Alec heißt, ist damit gemeint.«
»Das heißt ›Bogen‹. Es scheint, als hätten diese kleinen Zeichen Macht. Ich sehe sie an, und die Dinge, für die sie stehen, erscheinen in meinem Kopf wie durch Zauberkraft. Dieser hier sieht nicht wie ein Bogen aus, aber jetzt, da ich den Klang der Buchstaben kenne, kann ich sie nicht ansehen, ohne in Gedanken einen Bogen zu sehen.«
»Versuche das hier:« Seregil schrieb ›Alecs schwarzer Radly-Bogen‹, las es Wort für Wort laut vor und zeigte dabei mit dem Finger auf die entsprechenden Worte.
Alec lächelte, als er sich die Worte ansah. »Jetzt sehe ich meinen eigenen Bogen. Ist das Zauberei?«
»Nein, nicht so, wie du es meinst. Gewöhnliche Worte halten nur Gedanken fest. Trotzdem mußt du vorsichtig sein. Worte können lügen oder falsch verstanden werden. Worten wohnt keine Magie inne, aber sie besitzen Macht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Nun, der Bürgermeister von Wolde schrieb einen Brief an den Bürgermeister von Boersby, in dem er ihm in etwa folgendes mitteilte: ›Aren Windover und sein Schüler stahlen mir Geld. Fang sie, und ich werde dich dafür belohnen.‹ Weil der Bürgermeister von Boersby den Bürgermeister von Wolde kennt, liest er die Nachricht und glaubt sie auch. Haben wir Geld gestohlen?«
»Nein, wir stöberten nur durch die Räume, und du …«
»Ja, ja«, unterbrach ihn Seregil. »Wichtig ist, daß nur ein paar Worte auf Papier nötig waren, den Bürgermeister von Boersby davon zu überzeugen, daß wir es taten!«
Seregil hielt plötzlich inne, als er erkannte, daß er die Worte geradezu hinausschrie. Alec zuckte zurück, als erwarte er einen Hieb.
Seregil preßte die Handflächen auf die Knie und holte tief Luft. Der Kopfschmerz war wieder zurück, und mit ihm kam geballte Wut.
»Ich fühle mich nicht gut, Alec. Geh doch ein wenig nach oben.« Er mußte sich zwingen, ruhig zu sprechen.
Mit zusammengepreßten Lippen verließ Alec die Kabine.
Seregil vergrub sein Gesicht in den Händen und rang mit widerstreitenden Gefühlen.
Er wollte ihm nachgehen und sich entschuldigen, aber was sollte er sagen?
Es tut mir leid, Alec, aber eben noch wollte ich dich erwürgen?
»Verdammt!« Gereizt durchmaß er immer wieder aufs neue die kleine Kajüte. Der Schmerz in seinem Schädel war zur alles beherrschenden Pein geworden. Unter der Decke des Schmerzes begann ein vages Verlangen zu keimen. Es verzerrte sein Gesicht zu einem wölfischen Grinsen und erfüllte jede Faser seines Körpers mit dem Wunsch
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