Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
zuzuschlagen. Er wollte zupacken, schlagen. Er wollte reißen und zerfetzen …
Er wollte …
Und dann, mit einem sengenden Blitz, war es fort, und damit auch der schlimmste Kopfschmerz. Als er wieder zu sich kam, sah er, daß er den Griff des kleinen Dolches umklammert hielt. Irgendwie hatte er die Waffe mit solcher Gewalt durch die Tischplatte gestoßen, daß die Klinge zerbrochen war.
Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, sie aufgehoben zu haben.
Der Raum schien sich langsam um ihn zu drehen, während er auf das zerbrochene Messer starrte. »Illior, hilf mir«, flüsterte er heiser. »Ich werde verrückt!«
Verletzt und verwirrt schritt Alec an Deck auf und ab. Seregil hatte ihn stets freundlich behandelt und war gut gelaunt gewesen, zwar war er oft nicht sehr mitteilsam, aber stets fair und großzügig.
Nun sah er sich unvermittelt dieser Kälte gegenüber.
Der Schrecken über die Ereignisse des Morgens verebbte schließlich, und sein Ärger machte tiefer Besorgnis Platz. Er erkannte, daß Seregil ihn in der vergangenen Nacht davor zu warnen versucht hatte. Ihm blieb nichts als Seregils Wort, daß es nur eine vorübergehende Verwirrung sei; wenn er aber doch schon immer verrückt gewesen war?
Und doch konnte er das Gespräch mit Micum Cavish in Boersby nicht vergessen. Er hatte Micum sogleich vertraut, und Seregils jetziges Verhalten paßte nicht zu dem, was er von Micum in jener Nacht erfahren hatte. Nein, Alec beschloß, daß Seregil für sein Verhalten nicht verantwortlich war.
Er hätte mich nicht vor Asengai retten müssen, erinnerte er sich. Ich versprach ihm, das hier gemeinsam durchzustehen, und das werde ich auch! Trotzdem wünschte er sich sehnlichst, daß Micum jetzt hier wäre.
Ruhelos wanderte er in dieser Nacht an Deck umher, ohne auf die fragenden Blicke der Seeleute zu achten.
Seregils Gereiztheit legte sich auch während des Tages nicht. Er konnte weiterhin nichts zu sich nehmen und wurde zusehends erregter und nervöser während der folgenden Nacht. Alec hatte versucht, mit ihm zu sprechen und ihn zu beruhigen, mit dem Ergebnis, die üble Laune des Gefährten noch zu verschlechtern. Schließlich hatte Seregil ihn wieder der Kabine verwiesen, und es war ihm deutlich anzumerken gewesen, wie mühsam er sich dabei beherrscht hatte.
Es war zu kalt, um an Deck zu schlafen, daher zog sich Alec in den Kajütengang zurück und legte sich dort mit dem Rücken zur Tür schlafen. Er war fast eingeschlafen, als Kapitän Rhal herunterkam.
»Was machst du denn hier?« fragte der Kapitän überrascht. »Geht es deiner Lady nicht gut?«
Die Lüge, die er sich bereits zurechtgelegt hatte, kam ihm leicht über die Lippen. »Mein Schnarchen stört ihren Schlaf, daher legte ich mich hier hin«, erwiderte Alec und rieb sich seinen steifen Hals.
Rhal musterte ihn einen Augenblick und sagte dann: »Du kannst gerne in meiner Koje schlafen, es sieht nicht so aus, als würde ich sie heute nacht brauchen, nicht, solange das Wetter nicht besser wird.«
»Habt Dank, aber ich denke, es wird besser sein, wenn ich in ihrer Nähe bleibe, falls sie mich braucht«, erwiderte Alec und wunderte sich über die unerwartete Großzügigkeit.
In diesem Augenblick hörten sie einen Schrei aus der Kabine, gefolgt von Geräuschen, die einen Kampf vermuten ließen.
Alec mühte sich auf die Füße zu kommen und den Kapitän am Betreten der Kajüte zu hindern. »Nein! Laßt mich …«
Der kräftige Kapitän jedoch stieß ihn beiseite, als wäre er ein Kind. Er stellte fest, daß die Tür verriegelt war, trat sie ein und ging hinein.
Hinter ihm hielt Alec den Atem an, als er sah, wie der Seemann unvermittelt innehielt und dann nach dem großen Messer am Gürtel griff.
»Was, zum Teufel, geht hier vor?« knurrte der Kapitän.
Alec stöhnte verzweifelt auf.
Ausgezehrt und bleich stand Seregil mit dem Schwert in der Hand schwankend in der gegenüberliegenden Ecke der Kajüte. Das Nachtgewand war vorne aufgerissen, was alle Spekulation bezüglich seines Geschlechts überflüssig machte. Einen Pulsschlag lang sah es aus, als wolle er angreifen. Statt dessen schüttelte er kurz den Kopf und warf dann die Waffe auf die Koje. Er bedeutete ihnen einzutreten. Alec eilte an seine Seite. Rhal blieb an der zertrümmerten Tür stehen.
»Ich frage dich das nur einmal«, begann er langsam, der Ärger in seiner Stimme war deutlich zu vernehmen. »Was immer du vorhast, gerät mein Schiff oder meine Mannschaft dadurch in
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