Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Seregil vor.
Sie ergriffen zwei Querstreben, stemmten die Schultern gegen die Stäbe und hoben an. Das Gitter wanderte ein oder zwei Zoll nach oben.
»Drück!« grunzte Seregil und preßte sich gegen seine Seite.
Doch die Bolzen hielten das Gitter unverrückbar fest. Schließlich gaben sie auf und ließen es los, so daß es dumpf klirrend wieder herunterrasselte.
»Ich dachte, Rythel hätte vielleicht die unteren Bolzen angesägt«, erklärte Seregil keuchend, während er die Arme streckte. »Anscheinend doch nicht.«
»Aber es hat sich bewegt.« Mit zusammengekniffenen Augen spähte Alec zu den oberen Flanschen hinauf. Aus diesem Winkel konnte er unmöglich etwas erkennen, deshalb erklomm er mit der Fackel in der Hand die Querstreben, um einen genaueren Blick darauf zu werfen.
Auf der anderen Seite des Kanals wollte Seregil es ihm gleichtun, doch seine Fackel war kurz vor dem Verlöschen.
Er zog eine neue aus dem Gürtel und hielt inne, um sie an der alten anzuzünden. »Siehst du etwas?«
»Hier oben liegt der Bolzen etwa drei Zoll frei«, antwortete Alec, der sich mit einer Hand an den Stäben festhielt.
»Ich bin zwar kein Fachmann, aber das kommt mir recht viel vor. Wie sieht er aus?«
»Wie ein Metallbolzen.« Alec hielt die Fackel näher hin. »Keine Schrammen oder Rillen. Warte mal. He, er schmilzt ja wie Wachs, und da ist …«
»Sei vorsichtig!«
Scharf zischend stoben nur wenige Zoll vor Alecs Gesicht grellweiße Funken auf. Der Junge stieß einen erschrockenen Schrei aus, ließ die Fackel fallen und riß den Arm vor die Augen.
»Alec! Alec, komm runter«, gellte Seregil.
Alec krümmte sich unbeholfen und blieb mit einem Bein zwischen den Stäben hängen. Von oben rieselten unentwegt Funken aus dem knisternden Lichtkranz auf ihn herab.
Dunkle Flecken tanzten vor Seregils Augen, als er über den Kanal hechtete. Dann packte er Alec, zerrte ihn zu Boden und versuchte, ihn auf den Bauch zu rollen, um die schwelenden Stellen auf seinem Kittel zu ersticken.
»Meine Augen!« krächzte Alec, der sich verwirrt, von Schmerzen gebeutelt, loszureißen versuchte.
»Halt ruhig«, setzte Seregil an, doch plötzlich fand Alecs Fuß an der Wand Halt und ließ Seregil nach einem letzten, torkelnden Versuch, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, rücklings in den eisigen Kanal kippen.
Zum Glück war Seregil so geistesgegenwärtig, den Mund zu schließen, als er untertauchte. Einen schrecklichen Lidschlag lang wirbelte er hilflos von Kanalseite zu Kanalseite und fand keinen Boden unter den Füßen. Dann zog er sich am Gitter hoch und hangelte sich an den Querstreben zurück auf den Gehweg.
Spuckend und würgend packte er Alec am Kittelkragen, zerrte ihn außer Reichweite der Funken und hielt ihn gewaltsam fest, während der weiße Glutregen allmählich auf ein dumpfes, oranges Glimmen zusammenschrumpfte.
Eine Fackel brannte noch, und in ihrem Schein sah er, wie sich träge eine dünne Rauchfahne zur Decke emporkräuselte.
Alec preßte die Hände auf das Gesicht und stöhnte. Seregil, der sich auf das Schlimmste gefaßt machte, holte den Leuchtstock aus dem völlig durchnäßten Werkzeugbeutel und zog die Hände des Jungen von dessen Antlitz weg, um den Schaden zu begutachten.
Alecs Haar und das Essigtuch hatten den Großteil des Gesichts vor den Funken geschützt, doch auf den Handrücken bildete sich bereits ein gutes halbes Dutzend Blasen. Tränen strömten dem Jungen über die Wangen, als er den Kopf vom Licht wegdrehte.
»Kannst du etwas sehen?« fragte Seregil besorgt.
»Langsam wird’s wieder.« Alec wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, dann blinzelte er. »Warum bist du denn naß?« Langsam breitete sich Bestürzung in seinen Zügen aus, als die Erkenntnis einsetzte. »O nein. Seregil, es tut mir leid!«
Seregil rang sich ein gezwungenes Lächeln ab und versuchte, nicht an das Wasser zu denken, das ihm über das Gesicht auf den Mund zurann.
»Was war das für ein Licht?« wollte Alec wissen.
»Keine Ahnung.« Seregil ging zurück zum Gitter und stieg hinauf, um sich den Schaden zu besehen. »Der Bolzen ist vollständig verbrannt, das Steinwerk von der Hitze gesprungen und die Oberseite des Flansches verzogen. Und was auch immer das war, es muß sich auch auf der anderen Seite befinden, sonst könnte man das Gitter immer noch nicht bewegen.«
Er sprang über den Kanal, klemmte sich den Griff des Leuchtstocks zwischen die Zähne und stieg hinauf, um die obere Ecke unter die Lupe zu
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