Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
denkst, ich hätte dich nur deshalb bei mir aufgenommen. Aber weißt du, das stimmt nicht. Das war von Anfang an nie der Grund.«
Der letzte Rest von Alec Bestürzung und Zorn schmolz dahin; er fühlte sich über alle Maße erschöpft. Träge griff er zu Boden, hob die Weinflasche auf und trank sie bis zur Neige aus. »Weißt du, das ist ganz schön heftig. Es verändert so vieles.«
Zum ersten Mal seit Stunden kicherte Seregil; ein warmes, wohltuendes Geräusch in der Dunkelheit. »Du solltest mit Nysander oder Thero reden. Zauberer machen vermutlich genau das gleiche durch, wenn sie erfahren, daß sie Magie in sich tragen.«
»Aber was hat es für Auswirkungen, daß ich ein Halbblut bin?« fragte Alec, dem mit einem Mal hunderte Fragen und Vergleiche einfielen. »Wie lange werde ich leben? Wie alt bin ich wirklich?«
Ohne den Arm um Alec zu lösen, führte Seregil die eigene Weinflasche an die Lippen und trank einen Schluck. »Wenn das ’Faie-Blut von der Mutter stammt, ist es für gewöhnlich stärker. Keine Ahnung weshalb, aber so war es schon immer, und die Mischlinge, die ich kannte, haben genausolange gelebt wie wir alle, etwa vier Jahrhunderte. Sie wachsen lediglich ein wenig schneller heran, also dürftest du etwa so alt sein, wie du dachtest. Zudem besteht durchaus die Möglichkeit, daß du ihre Magie geerbt hast, sofern sie welche besaß, obwohl sich das eigentlich schon hätte zeigen müssen …« Unvermittelt versagte ihm die Stimme den Dienst, und Alec spürte, wie er erzitterte. »Verdammt, es tut mir leid, daß ich es dir nicht früher gesagt habe. Je länger ich gewartet habe, desto härter wurde es.«
Ohne nachzudenken, aus einem plötzlichen Gefühl heraus, drehte sich Alec Seregil zu, schlang beide Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. »Schon gut, talí«, flüsterte er heiser. »Schon gut.«
Völlig überrascht zögerte Seregil einen Augenblick, dann erwiderte er die Umarmung; heftig und rasend pochte sein Herz an Alecs Brust. Eine benommene Zufriedenheit überkam Alec, begleitet von einem angenehmen Behagen, das die innige Berührung hervorrief. Von wo sie saßen, konnte Alec ein paar Laternen aus der Lichterstraße durch die kahlen Bäume schimmern sehen. Dann stellte er erschrocken fest, daß Seregils Finger sich genauso durch sein Nackenhaar tasteten wie vor wenigen Wochen bei dem jungen Mann in Azarins Bordell.
Zuerst diese merkwürdige, gefühlsverwirrende Nacht, dachte er müde, und jetzt das. Bei Illiors Händen, wenn die Dinge sich weiter so entwickelten, würde er bald überhaupt nicht mehr wissen, wer er war.
Schließlich ließ Seregil ihn los und blickte zum halb hinter den verästelten Baumwipfeln verborgenen Mond empor.
»Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich hatte genug Aufregung für eine Nacht«, meinte er und ließ einen Abklatsch des ihm eigenen, schiefen Lächelns aufblitzen.
»Was ist mit Rythel?«
»Ich glaube, Tym kann schon noch eine Nacht ein Auge auf ihn haben. Wir heften uns morgen früh wieder an seine Fersen.«
Diesmal kicherte Alec, als sie aufstiegen, um nach Hause zu reiten.
»Was ist denn so komisch?«
»Ich schätze, es könnte schlimmer sein«, erwiderte Alec. »In den alten Balladen stellen sich Waisenkinder immer als verloren geglaubte Erben ihres Königreiches heraus, was bedeutet, daß man sie in die Familienburg sperrt, damit sie königliche Manieren lernen, oder daß sie ausgeschickt werden, um irgendein Ungetüm für einen Haufen völlig Fremder zu töten. Ich kann zumindest meine alte Arbeit behalten.«
»Ich glaube kaum, daß irgend jemand daraus eine großartige Ballade machen könnte.«
Alec schwang sich in den Sattel und grinste zu Seregil hinüber. »Ist mir nur recht!«
24
Beka
»Wo sind wir?« brüllte Zir über das Klirren des Pferdegeschirrs hinweg.
»Wir sind in Mycena!« schrie jemand zurück.
Unwillkürlich grinste Beka. Seit Wochen droschen sie den Witz nun schon ab, und dennoch holte ihn ab und an wieder jemand aus der Versenkung, um die Eintönigkeit zu durchbrechen.
Feldwebel Mercalles Reiter zeigten sich an diesem Morgen guter Dinge. Beka hatte den Befehl erhalten, mit einer Dekurie zu einem nahegelegenen Marktdorf zu reiten und Vorräte für die Truppen zu kaufen. Die Wahl war auf Mercalle gefallen.
Wochenlang waren sie über sanfte, schneebedeckte Hügel, durch Eichenwälder und kahle Felder gezogen; vorbei an Siedlungen mit Reetdächern und kleinen Landweilern, wo man Soldaten,
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