Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
ungeachtet welcher Herkunft, mit Zurückhaltung und Unmut begegnete. Mycena galt als Land der Bauern und Händler. Kriege störten den Handel.
Fast einen Monat hatte das Regiment gebraucht, um die Hafenstadt Keston zu erreichen – einen Monat, den kalte Lager, behelfsmäßige Unterkünfte in Garnisonen oder Hinterhöfen und beschwerliche Märsche über gefrorene Straßen kennzeichneten. Nachts saßen die unerfahrenen, frischgebackenen Offiziere um das Feuer und lauschten den Kriegserzählungen der Veteranen, in der Hoffnung, dabei einiges aufzuschnappen, was man ihnen in der kurzen, sechswöchigen Ausbildungszeit nicht hatte beibringen können.
Je mehr Beka zuhörte, desto bewußter wurde ihr, daß sich trotz allen Exerzierens, trotz aller Fähigkeiten der einzelnen im Umgang mit Pferd, Schwert und Bogen, erst nach einer oder zwei Schlachten herausstellen würde, wie gut die Turma zusammenarbeitete und wie sehr die Soldaten einander vertrauten.
Und wie sehr sie ihr vertrauten.
Ihr war aufgefallen, daß viele ihrer Reiter sich vorerst noch öfter an den Feldwebeln als an ihr orientierten. Das tat zwar ein wenig weh, andererseits waren sie die einzigen kriegserfahrenen Veteranen der Turma. Und Beka rechnete es ihnen hoch an, daß sie allesamt uneingeschränkte Achtung vor ihrem Rang zeigten, sogar Braknil, der alt genug war, um ihr Vater zu sein.
Im Gegenzug hielt sich Beka ständig vor Augen, daß Feldwebel der höchste Rang gewesen wäre, den sie sich in einem solchen Regiment ohne Seregils Schirmherrschaft und das daraus entstandene Offizierspatent hätte erhoffen dürfen. Auch einige neue Leutnants der anderen Schwadronen – Söhne und Töchter von Lords aus Rhíminee – schienen dies zu wissen und ließen es Beka durch ein gelegentliches höhnisches Grinsen oder eine herablassende Bemerkung spüren. Zum Glück gehörten ihre Offizierskollegen in Myrhinis Truppe nicht dazu.
In Keston hatte der Regimentskommandant, Prinz Korathan, Kommandant Perris’ Wolf-Schwadron übernommen und sich vom übrigen Heer getrennt, um der Küste zu folgen. Kommandantin Klias Schwadron marschierte landeinwärts in Richtung des Folcwine-Tales. Der Folcwine galt als südlicher Arm jener mächtigen Handelsroute, die sich bis zum Eisenherz-Gebirge in den fernen Nordländern hinauf erstreckte. Man glaubte allgemein, daß der Fluß die erste Beute sein würde, nach der die Plenimaraner die Hände ausstrecken würden.
Das war vor zwei Wochen gewesen; weitere zwei würden ins Land ziehen, bevor sie den Fluß überhaupt erreichten.
Beka drehte sich im Sattel um und schaute zurück auf die dunkle Kolonne, die sich hinter ihr den Hügel heraufschlängelte; fast vierhundert Reiter und Offiziere der Löwen-Schwadron, die Schlitten der Pferdeknechte und Feldzeugmeister, Karren mit Vorräten, Vieh und Fahrer. Es war, als reiste man mit einem kleinen Dorf im Schlepptau. Erkundungsritte, Vorhutdienst und sogar alltägliche Besorgungsmärsche wie dieser boten eine willkommene Abwechslung.
Beka wandte sich an Mercalle und meinte: »Feldwebel, ich glaube, die Pferde könnten einen kleinen Galopp vertragen.«
»Stimmt, Leutnant«, erwiderte Mercalle und ließ den Ansatz eines Lächelns aufblitzen; sie wußten beide, daß dies eher auf die rastlosen jungen Reiter denn auf die Pferde zutraf.
Beka ließ den Blick über die vor ihnen liegende Landschaft schweifen und erspähte etwa eine Meile voraus eine dunkle Baumgruppe. »Weitersagen, Feldwebel: Auf mein Zeichen hin stürmen alle auf die Bäume zu. Wer als erster dort ankommt, darf als erster in die Tavernen.«
Mercalles Reiter verteilten sich und riefen einander entmutigende Hänseleien zu. Auf Bekas Zeichen hin trieben sie die Pferde an und galoppierten auf die Bäume zu.
Bekas Wyvern hätte mühelos die meisten anderen Gäule hinter sich zu lassen vermocht, doch sie hielt ihn zurück und ließ Kaylah und Zir das Rennen als erste beenden.
»Ich habe schon gehört, daß sie immer gemeinsam kommen«, brummte Marten, als sich der Rest der Reiter um die Sieger scharte. Ein paar andere grinsten über die Bemerkung. Zwar sah man sexuelle Beziehungen in den Reihen nicht gerne, und eine aus Unachtsamkeit entstandene Schwangerschaft verhieß für beide Partner die unehrenhafte Entlassung, dennoch kamen Liebschaften vor. Beka, die selbst noch unverheiratet war, zog es vor zu übersehen, wer zu wem unter die Decke schlüpfte. Mehrere ihrer Reiter waren bereits als Paar in das Regiment eingetreten,
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