Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Klappe. Wer weiß, wer sich noch für dich interessiert. Und jetzt will ich, daß du eine Weile still sitzenbleibst, bis du sicher bist, daß wir weg sind. Ich würde dir ungern weh tun, nachdem du so hilfreich warst.«
»Ich rühr’ mich nich’ von der Stelle!«
Drohend legte sich eine kräftige Hand auf Skuts Schulter. »Und zu niemandem ein Wort über diesen kleinen Besuch, in Ordnung?«
»Sicher! Ihr seid nie hier gewesen«, flüsterte der Junge, plötzlich wieder von Angst erfüllt.
Die Hand zog sich zurück. Skut hörte das Geräusch von Stiefeln, das Ächzen der Leiter, dann Stille. Er zwang sich, zweimal bis hundert zu zählen, ehe er sich den Umhang vom Kopf zu ziehen wagte. Nachdem alles ruhig war, kroch er los, um ein Licht anzumachen, und fand auf dem Kohlenbecken einen kräftigen Dolch sowie einen kleinen Stoffbeutel. In dem Beutel befanden sich Pfennige im Wert von mindestens einer Mark.
Hochwohlgeboren oder nicht, dachte Skut verwundert, die beiden Herren hatten wirklich Ahnung vom Leben in seiner Welt. In Gegenden wie dieser mit Gold oder Silber gesehen zu werden, konnte jemanden ganz schnell ins Grab bringen, besonders einen dürren Balg wie ihn. Hier und da ein paar Kupfermünzen hingegen schienen vergleichsweise sicher, und mit einem solchen Vorrat konnte er sich einen Monat oder länger über Wasser halten. Geradezu andächtig drehte er das Messer in den Händen und befühlte die teuflisch scharfe Klinge mit dem Daumen. Kaber sollte nur versuchen, ihn noch einmal herumzuschubsen! Nach einer Weile packte er seine wenigen Habseligkeiten zusammen, warf von Kabers Zeug dazu, was ihm brauchbar erschien und machte sich auf die Suche nach einem neuen Unterschlupf.
»Klingt nach einem Unfall«, meinte Alec, sobald sie sich weit genug von dem verfallenen Lagerhaus entfernt befanden. »Er muß ausgerutscht sein, als er über die Schindeln nach unten kletterte, genau wie ich.«
Seregil wirkte wenig überzeugt. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß Tym tatsächlich abgestürzt ist. Er hat sein halbes Leben auf solchen Dächern verbracht. Und auch das fehlende Messer stört mich. Tym hat die Klinge nur dann gezogen, wenn er sie auch benutzen wollte. Hätte das Messer in der Scheide gesteckt, als er fiel, hätte Skut es genommen. Er hat selbst gesagt, daß es nicht da war. Außerdem, wäre Tym tatsächlich über die Schindeln geschliddert, hätte der Junge das gehört.«
»Und was ist mit der Leiche geschehen?« grübelte Alec. Sämtliche Beinhäuser hatten sie bereits abgeklappert. »So wie der Junge ihn beschrieben hat, ist er wohl kaum aufgestanden und davonspaziert.«
Seregil zuckte mit den Schultern. »Es gibt genug komische Vögel in Rhíminee, die für einen Leichnam bezahlen würden.«
Alec verzog das Gesicht. »Wie er zum Beispiel?«
»Oh, überwiegend Neugierige und Verrückte. Es gab mal einen Mann, sogar einen Lord, der wollte herausfinden, welches Organ die Seele beherbergt. Auch Künstler verwenden Leichen, besonders Bildhauer. Ich erinnere mich an eine Frau, die hingerichtet wurde, nachdem herauskam, daß sie menschliche Skelette als Zubehör für Statuen benutzte, die sie für das dalnische Gebetshaus anfertigen sollte. Es heißt, ein Priester hätte in ihrem Laden vorbeigeschaut, um sich zu erkundigen, wie sie mit der Arbeit vorankäme. Dabei stolperte er unabsichtlich über eines der lebensgroßen Lehmmodelle. Der Kopf fiel vor seinen Füßen zu Boden, brach auf und ein paar allzu lebensechte Zähne purzelten heraus.«
»Du machst Witze!«
»Aber nein, so wahr mir der Schöpfer helfe. Valerius hat die Geschichte bestimmt schon hundertmal erzählt. ›Verbrennt sie oder laßt sie in Ruhe!‹ lautete die allgemeine Moral der Geschichte. Aber was Tym angeht, könnten es auch Nekrophile gewesen sein oder auch nur ein halbverhungertes, armes Schwein …«
»Hör auf, es reicht«, stöhnte Alec. Er hatte keine Ahnung, was ein Nekrophiler sein mochte, und er war ziemlich sicher, daß er es nicht wissen wollte; er empfand schon den Gedanken an Kannibalismus als übelkeitserregend genug.
»Was? Oh, tut mir leid. Aber von alldem abgesehen, halte ich es für wesentlich wahrscheinlicher, daß Rythel oder einer seiner Kumpane Tym beim Spionieren ertappt und sich klugerweise seiner Leiche entledigt hat. Wir sollten uns besser selbst dort oben umsehen.«
Sie warteten, bis es dunkel war, dann ritten sie zur Segelmacherstraße. Die Bewohner des Hauses waren noch wach und saßen beim
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