Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
logische Schritt«, pflichtete Nysander ihm bei. »Was brauchst du dafür?«
»Einen Ortswechselschlüssel. Etwas Kleines, das ich ihm geben kann, ohne sein Mißtrauen zu erregen. Ein zusammengerolltes Dokument wäre hervorragend. Als Lord Seregil kann ich ihm einreden, es handle sich um ein verkäufliches Schriftstück. Ich glaube, wir dürfen auf die Gier unseres Opfers zählen.«
»Ausgezeichnet. Und ich treffe die entsprechenden Vorkehrungen mit dem Kerkermeister des Verlieses im Roten Turm. Bevor er sich freiwinden kann, steckt er längst in einer Zelle.«
Seregil wandte sich an Alec, der erwartungsvoll neben ihm ausharrte. »Sobald er sich auf die wöchentliche Runde durch die Freudenhäuser begibt, steigst du nochmals bei ihm ein und durchwühlst sein Zimmer. Auch wenn die Karte längst weg ist, vielleicht liegt etwas anderes Belastendes herum. Wir wollen niemandem Zeit lassen, hinter ihm aufzuräumen, nachdem wir ihn geschnappt haben. Wenn du dort fertig bist, kommst du auf schnellstem Wege zu uns ins Verlies.«
Durch und durch bereit für die Jagd, grinste Alec. »Das sollte nicht allzulange dauern.«
Seregil grinste zurück und war froh, daß sich ein Ende dieser heiklen Angelegenheit abzeichnete. »Teufel auch, vielleicht schaffen wir’s sogar noch zur zweiten Vorstellung im Tirarie-Theater!«
26
Die Augen des Totenbeschwörers
Schicksalsergeben sah sich Vargûl Ashnazai in seiner jüngsten Unterkunft um. Das verlassene Haus roch nach Feuchtigkeit und Mäusen, aber das Dach war dicht und der Ofen brauchbar.
Längst hatte er aufgehört, die Herbergen und Tavernen zu zählen, in denen sie seit ihrer Ankunft in Skala vor drei Monaten abgestiegen waren. Die Winter hier waren zwar rauher als in seiner Heimat Bensâl, aber nicht so rauh wie jene, die er in den drei Jahren ertragen mußte, während der er Mardus half, die Nordländer auf der Suche nach den Augen und dem Schleier zu durchstreifen.
Nein, das Schlimmste, das der Totenbeschwörer in Skala ertragen mußte, war Langeweile. Der Arm der Orëska reichte weit; gleichgültig, ob sie sich in Rhíminee befanden und Urvays zahlreiche Spione und Handlanger abklapperten oder sich, wie jetzt, in einen verlassenen Schlupfwinkel zurückzogen, er durfte sich nie gestatten, seine Kunst anzuwenden, ohne zuvor ein dichtes Bollwerk von Schutzbeschwörungen zu errichten. Bei der habgierigen jungen Magierin, die Urvay ins Netz gegangen war, hatten diese Zauber auf bewundernswerte Weise gewirkt. Ylinestra war sich ihrer Macht nur allzu sicher; kein einziges Mal hatte sie durchschaut, wen oder was Mardus tatsächlich verkörperte.
Ashnazai schwang die verzogenen Fensterläden auf und blinzelte hinaus auf die Bucht unterhalb des Hauses. Große Eisblöcke stauten sich entlang der Gezeitenlinie, aber jenseits der Schollen funkelte grau-grünes Wasser im Licht der Morgensonne.
Und wieder ein Hindernis sauber aus dem Weg geräumt, dachte er und lächelte bei sich. Wie vorherzusehen, hatte Urvays ahnungsloser Schauspieler, Pelion, sich gierig auf das Angebot einer Reihe Sonderauftritte in der südlich gelegenen Stadt Iolus gestürzt. Zweifellos würde er dort Triumphe feiern, nicht ahnend, daß sein Lebensfaden längst bemessen war und in zwei Wochen von einem bereits vollständig bezahlten Meuchelmörder durchtrennt werden würde. Und auch die wunderschöne Ylinestra lebte nur noch von geborgter Zeit, genau wie all die anderen.
Im Vergleich zu den bevorstehenden Ruhmesorgien nahmen sich die Monate des Wartens nichtig aus. Ashnazais Rache hing gleich einer saftigen, vielversprechenden, fast reifen Frucht vor ihm; schon bald würde er sie in Händen halten, eine Frucht, aus der das süße Naß Blut quellen würde, wenn er sie zusammendrückte. Noch zwei kurze Nächte, dann würde alles bereit sein.
Sie würde hier sein.
Die Sterne hoben sich wie blinzelnde Augen vom mitternächtlichen Himmelszelt ab.
Ashnazai stand neben Mardus an der Bucht und hörte, wie Tildus’ Männer zwischen den Bäumen umherschlichen, die den schmalen Strand säumten. Außerdem vernahm er das Schnauben der angeketteten Pferde, die für den nächtlichen Ritt bereitstanden. Weitere Männer patrouillierten durch den Wald jenseits des Abwasserkanals, wo ein unglückseliger Bettler mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze brackigen Wassers lag. Es würde keine Zeugen geben.
Sie hatten nicht lange gefackelt, als sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus der Finsternis vor ihnen
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