Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Augen – erinnerte an einen haßerfüllten Racheengel.
Durch die Ritzen der Deckendielen drang bereits Rauch herab, als er sich den Rucksack und die Waffen wieder auflud und Luthas die Treppe hinuntertrug. Im ersten, fahlen Licht der Morgendämmerung erschien ihm der Hinterhof seltsam unwirklich, wie ein vertrauter Ort, den man in einem Traum sieht, bevor er sich in etwas Unheimliches verwandelt. Das Gewicht des Rucksacks, der Waffen und des Kindes zog ihn zu Boden und zehrte an seinen Kräften.
»Dem Lichtträger sei Dank, da seid Ihr ja!« rief eine vertraute Stimme.
Verwirrt wirbelte Seregil herum und erblickte Nysanders jungen Bediensteten Wethis, der auf einem Fuchs um die Ecke der Herberge ritt.
»Ich habe von weitem Rauch gesehen«, erklärte Wethis und zügelte das Pferd. Weitere schlimme Befürchtungen keimten in Seregil, als ihm auffiel, daß die Kluft des Bediensteten völlig zerrissen und um eine Hand des jungen Mannes ein Verband gewickelt war. »Vorne hat niemand geantwortet, deshalb …«
»Sie sind alle tot«, unterbrach ihn Seregil mit dünner, brüchiger Stimme. »Was ist mit dir passiert? Und was tust du hier?«
»Die Orëska wurden letzte Nacht überfallen«, antwortete Wethis kläglich und stockend. »Es war grauenhaft. Nysander – man hat ihn im untersten Kellergewölbe gefunden …«
»Ist er tot?« herrschte Seregil den Jungen an.
Wethis zuckte zusammen. »Ich weiß es nicht. Valerius und Hwerlu waren bei ihm, als ich losgeritten bin. Sie haben mich geschickt, um Euch zu holen. Ihr müßt sofort kommen!«
Seregil ließ sein Zeug fallen und reichte dem Jungen Luthas hinauf. »Nimm das Kind und laß den restlichen Kram zu den Orëska bringen. Und schaff die übrigen Pferde aus dem Stall, bevor hier alles in Rauch und Flammen aufgeht.«
Damit überließ Seregil den Jungen sich selbst, rannte in den Stall und zäumte Cynril auf.
Aus dem Nebenabteil wieherte ihm Patch zu. Alec hatte sich letzte Nacht noch Zeit genommen, die Stute zu füttern und mit einer Decke zu versehen, bevor er ins Haus ging, bar jeder Ahnung, was ihn dort erwartete.
Seregil sparte sich die Mühe, Cynril einen Sattel aufzulegen, sprang auf und preschte an Wethis vorbei von der lodernden Herberge weg, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Die Welt wirkte seltsam still, als er zu den Orëska galoppierte. Die Straßen, der fahle Morgenhimmel, das Geräusch von Cynrils Hufen – allem haftete etwas Unwirkliches, Verschwommenes an, als beobachtete er die Szene aus der Ferne durch eines von Nysanders Vergrößerungsgläsern. Doch irgendwo hinter dem schützenden Wall des Schocks begann sich tiefe Trauer auszubreiten.
Noch nicht. Noch nicht. Es gibt noch soviel zu tun.
Er preschte weiter durch die Straßen, dann durch das Tor der Orëska und die duftenden Gärten. Erst als er das Haus selbst erreichte, wurde er langsamer. Er zügelte das Pferd, sprang aus dem Sattel und hastete, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
In der Vorhalle stank es nach Rauch und Magie. Der Mosaikfußboden präsentierte sich verkohlt und gesprungen, das Drachensymbol war kaum noch zu erkennen. Wo sich einst die Bogentüren zum Museum befunden hatten, gähnte nun ein klaffendes, teilweise von Schutt verdecktes Loch.
Später sollte Seregil sich nicht mehr daran erinnern, wie er über die Treppe nach oben gelangte oder wer ihn in den Turm ließ, aber als er endlich innehielt, stand er vor Nysanders Schlafzimmertür, wo ihm Valerius den Weg versperrte.
»Lebt er noch?« keuchte Seregil, dessen Herz wild in der Brust hämmerte.
Stirnrunzelnd nickte der Drysier. »Ja. Noch jedenfalls.«
»Dann laß mich vorbei. Ich muß mit ihm reden!« Seregil versuchte, sich an Valerius vorbeizudrängen, doch der ergriff seinen Arm und hielt ihn mit Nachdruck zurück.
»Sachte, Seregil, sachte«, warnte er. »Nach meinen medizinischen Kenntnissen hätte er einen solchen Angriff gar nicht überleben dürfen. So manch anderer hatte weniger Glück. Trotzdem weigert er sich, uns seine Schmerzen lindern zu lassen, so gut wir können, bevor er mit dir gesprochen hat. Mach schnell und schone seine Kräfte. Er braucht sie dringendst.«
Damit trat Valerius beiseite, öffnete die Tür und folgte Seregil hinein.
Nysander lag zur Seite gedreht unter einem sauberen, weißen Laken. Seine Augen waren geschlossen, seine Züge eingefallen. Hwerlu kniete am Fußende des Bettes und spielte ein Heillied; Tränen quollen aus den eigenartigen Pferdeaugen. Daneben
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