Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
Vom Netzwerk:
der Vorahnung über den Rücken.
    »Hat Alec dir alles erzählt?« fragte Seregil, für Micums Geschmack viel zu gefaßt.
    »Von der Prophezeiung? Ja.« Langsam ging Micum auf seinen Freund zu, so behutsam, als näherte er sich einem scheuenden Pferd. »Wo ist er? Was ist im Jungen Hahn passiert?«
    Seregil hielt etwas hoch, das er die ganze Zeit in der Hand gehabt hatte – einen Dolch, um den eine lange, blonde Haarsträhne geknüpft war.
    »Ist er …?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Betroffen stöhnte Micum auf und ließ sich kraftlos auf einen Stuhl sinken. »Er hatte es so eilig, zurückzureiten. Ich glaube, er hat sich Sorgen um dich gemacht; trotzdem hätte ich ihn aufhalten müssen.«
    »Vielleicht kann ich helfen«, meinte Valerius, der an der offenen Tür stand. Er ging zu Seregil, ergriff den Dolch, hielt ihn sich an die Stirn und murmelte ein Gebet oder einen Zauberspruch.
    »Er lebt«, verkündete er und gab Seregil das Messer zurück. »Mehr läßt sich daraus nicht ablesen, aber er lebt.«
    »Nur wie lange noch, hm?« Schmale Furchen der Anspannung traten im Licht des Feuers rings um Seregils Augen und Mund zum Vorschein, als er den Dolch wieder an sich nahm und an sein Herz drückte. »Wir wissen, wozu diese Dreckskerle fähig sind. Micum, es war tatsächlich Mardus. Nysander hat ihn während des Angriffs gesehen. Und ich glaube, wir können davon ausgehen, daß auch im Jungen Hahn seine Männer gewütet haben.«
    »Also haben sie euch doch gefunden.«
    Seregils Lippen verzogen sich zu einem Abklatsch seines alten Grinsens, der Micum einen weiteren Schauder über den Rücken jagte. »Sozusagen«, erwiderte er mit nunmehr nahezu tonloser Stimme, während er ins Feuer starrte. »Alec ist in einen Hinterhalt geraten. Ich kam erst an, als schon alles vorbei war.« Jetzt zitterten seine Hände sichtlich, als er sich an den Kaminsims lehnte.
    Valerius nickte Micum mitfühlend zu und schlich leise hinaus.
    »Sie haben – Sie haben alle getötet«, flüsterte Seregil heiser. »In meinen Zimmern. Alle außer Luthas. Er ist bei Wethis. Jetzt brennt das ganze verfluchte Haus gerade nieder. Alles.«
    Micum schüttelte den Kopf, als das Grauen in sein Bewußtsein sickerte. »Und Cilla, Thryis?«
    »Alle.«
    Seregils Züge schienen zu zerbröckeln wie ins Feuer geworfenes Pergament. »Ich bin schuld, Micum«, keuchte er stockend und vergrub das Gesicht in beiden Händen. »Ich habe sie da hineingezogen, habe diese Schweine zu ihnen geführt. Sie waren …«
    Micum erwiderte nichts; statt dessen schlang er schweigend die Arme um Seregil und hielt ihn fest, während ein rauhes, ersticktes Schluchzen seinen Freund beutelte. In all der Zeit, die Micum ihn schon kannte, hatte er ihn kaum weinen gesehen, und noch nie so herzzerreißend. Was auch immer er in der Herberge gesehen oder dort getan hatte, es hatte einen Teil seiner Seele getötet.
    »Du konntest es doch nicht wissen«, sagte er schließlich.
    »Natürlich hätte ich es wissen müssen!« schrie Seregil. Er riß sich von Micum los und starrte ihn mit wilden, verzweifelten Augen an. »All die Jahre haben sie mich beschützt, meine Geheimnisse gehütet. Abgeschlachtet! Abgeschlachtet wie Tiere, Micum! Dieser scheißefressende Abschaum hat ihnen … Sie haben ihnen die Köpfe …«
    Kraftlos sank Seregil auf die Knie und vergrub abermals das Gesicht in den Händen, als ihn ein neuerlicher Weinkrampf schüttelte.
    Micum hockte sich neben ihn, legte ihm die Hand auf die Schulter und lauschte mit wachsendem Entsetzen und anschwellender Wut, wie Seregil die Einzelheiten dessen herauswürgte, was er vorgefunden hatte; wie die Körper dieser braven Leute geschändet worden waren.
    Nachdem Seregil geendet hatte, ließ er sich, diesmal widerstandslos, von Micum in die Arme nehmen und festhalten, bis er sich ausgeweint hatte und völlig erschlafft verstummte. Danach verharrte er noch eine Weile an Micum gelehnt, bevor er sich auf die Fersen hockte und mit dem Hemdzipfel das Gesicht abwischte. Seine Augen waren rotgerändert, aber er wirkte nun ruhiger.
    Micums Beine schmerzten vom langen Knien. Er setzte sich zwischen die verstreuten Papiere und streckte erst ein Bein, dann das andere. »Erzähl mir mehr über Alec.«
    Seregil hielt den schwarzen und silbernen Dolch hoch, den er die ganze Zeit über fest umklammert hatte. »Das ist seiner. Sie haben ihn dagelassen, damit ich sicher sein würde, daß sie ihn haben. So wie es im Zimmer aussah, dürften sie zuerst die anderen

Weitere Kostenlose Bücher