Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
der Flamme, Beka!« stöhnte Micum. »Ich habe Kari versprochen, ich würde Nysander bitten, nach ihr zu sehen.«
»Ruh dich aus, Magyana«, sagte Valerius, als die Magierin sich erheben wollte. »Reich mir die Hand, Micum, und denk an deine älteste Tochter.«
Mit einer Hand ergriff Valerius seinen Stab, mit der anderen Micums Hand, dann schloß er die Augen. Nach einigen Minuten verkündete er: »Sie ist wohlauf. Ich sehe sie in Begleitung zuverlässiger Kameraden reiten.«
»Und Alec?« fragte Micum, ohne die Hand des Drysiers loszulassen. »Kannst du mir auch über ihn etwas sagen?«
Mit gerunzelter Stirn konzentrierte sich Valerius. »Nur, daß er nicht im Reich der Toten ist, das ist alles. Es tut mir leid.«
36
Dunkle Tage für Alec
Alecs Zähne verrotten in seinem Mund und fallen ihm aus. Heiß steigt ihm Galle in die Kehle, und das Gefühl der Schlangen, die sich in seinem Bauch winden, läßt die Flüssigkeit um so widerlicher schmecken. Verzweifelt will er sich krümmen, von den unsäglichen Qualen fortkriechen, doch die Eisenstifte, die man ihm durch Hände und Füße getrieben hat, halten ihn ausgestreckt liegend fest. Blind und hilflos, auf Erlösung hoffend, läßt er sich zurückfallen in die dunklen Träume, in denen nur der Wind säuselt und Wasser rauscht …
Gelegentlich treiben Gesichter aus der Finsternis auf ihn zu, gerade lange genug, um ihn boshaft anzugrinsen, bevor sie wieder verblassen und er ihnen Namen zuweisen kann.
Ein Fieber packt ihn, flammt über seine Haut und verbrennt jede Erinnerung, bis nur noch das Branden der See übrigbleibt …
Alec spürte die Kälte einer salzigen Brise auf der bloßen Haut, aber keine Schmerzen. Seine Glieder fühlten sich schwer an, viel zu schwer, um sich schon zu bewegen, aber er leckte mit der Zunge über die Zähne und stellte fest, daß sie heil waren. Wie konnte ein Alptraum so wirklich erscheinen oder jemanden so erschöpft und verwirrt zurücklassen, fragte er sich?
Der kalte Wind half ihm, den Kopf klar zu bekommen, aber die Welt schaukelte nach wie vor auf eine seltsam vertraute Weise unter ihm. Blinzelnd schlug er die Augen auf und schaute zu breiten, vollgetakelten Segeln hinauf, die sich vor einem mittäglichen Himmel bauschten.
Und zu zwei plenimaranischen Marinesoldaten.
Hastig rappelte er sich auf die Knie und griff unwillkürlich nach seinem Dolch, doch irgend jemand hatte ihn bis auf die Hose ausgezogen, so daß er völlig hilflos war. Die Marinesoldaten lachten, und Alec erkannte in ihnen zwei der Männer, die ihn damals in Wolde angepöbelt hatten.
»Fürchte dich nicht, Alec.«
Schwerfällig, zu verblüfft, um zu sprechen, mühte sich Alec auf die Beine. Kaum zehn Fuß entfernt lehnte Herzog Mardus gelassen an der Reling. Das eine Mal, als Alec ihn gesehen hatte, hatte er gesessen. Er hätte nie gedacht, daß Mardus so groß war. Doch an die gutaussehenden, ästhetischen Züge, den ordentlich gestutzten, schwarzen Bart und die zernarbte linke Wange erinnerte sich Alec nur allzugut. Und an das Lächeln, das die Augen nie ganz zu erreichen schien.
»Ich hoffe, du hast gut geschlafen.« Mardus, in tadellose Gewänder aus Leder und Samt gekleidet, betrachtete ihn mit der besorgten Miene eines beflissenen Gastgebers.
Wie bin ich nur hierhergeraten? fragte sich Alec, der immer noch kein Wort hervorbrachte. Ein paar Einzelheiten sickerten in sein Bewußtsein: der hektische Ritt nach Watermead, ein knurrender Köter, erloschene Laternen, die Hoffnung, Seregil zu Hause anzutreffen. Darüber hinaus jedoch verschleierte ein dichter, grauer, unheilvoller Nebel sein Gedächtnis.
»Du zitterst ja vor Kälte«, stellte Mardus fest und löste die goldene Brosche, die seinen Umhang am Kragen zusammenhielt. Dann gab er den Wachen ein Zeichen, woraufhin sie Alec grob vorwärtsstießen und ihn festhielten, während Mardus ihm den schweren Umhang um die nackten Schultern schlang.
Mit einer behandschuhten Hand setzte Mardus die Brosche an, mit der anderen schob er die lange Nadel durch eines der Löcher, bis die stumpfe Spitze gegen Alecs Luftröhre drückte.
Entsetzt starrte Alec auf die Knöpfe an Mardus’ samtenem Oberkleid und erstarrte. Die Nadel drückte fester an seine Kehle, aber nicht fest genug, um die Haut zu durchstoßen.
»Sieh mich an, Alec von Kerry. Na los, nicht so schüchtern.«
Mardus sprach mit entwaffnend freundlicher Stimme. Ohne es zu wollen, hob Alec den Kopf und schaute in die schwarzen Augen
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