Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Wellen zu ihnen heraus, und sie sahen Gischt von den Brechern aufspritzen. Riesige Blöcke rötlichen, mit schwarzen Basaltstreifen durchzogenen Granits lagen wirr zwischen dem Ufer und den Bäumen darüber verstreut.
So weit das Auge reichte, wirkte das Land trostlos und unbewohnt. Dunkle Wälder erstreckten sich über die Hügel. Weiter oben ragte der kahle, felsige Gipfel des Berges unheilverkündend in den abendlichen Himmel empor. Die untergehende Sonne hinter ihnen tauchte das Bild in sanftes, goldenes Licht und unterstrich kurzzeitig die Farben des Wassers, des Himmels und der Felsen. Unmittelbar hinter der Reihe der Brecher schwammen ganze Enten- und Gänseschwärme in der Dünung. Über ihnen stießen Möwen ihre krächzenden Schreie aus, während sie anmutig durch die Lüfte schwebten und gelegentlich auf das Wasser niederstießen.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich je einen Fuß auf plenimaranischen Boden setzen würde«, meinte Micum, während er sie näher ans Ufer steuerte. »Ich muß zugeben, das Land sieht wirklich recht einladend aus.«
Die Sonne sank tiefer. Seregil kniete im Bug und schaute mit zusammengekniffenen Augen aufmerksam zu der rauhen Küstenlandschaft.
»Ich glaube, wir müssen die Nacht hier draußen verbringen«, sagte Micum, als sie an einer weiteren felsigen Stelle vorübersegelten.
»Da könntest du … Warte!«
Der Wald präsentierte sich an der Stelle ausgesprochen dicht, dennoch erspähte er im Schatten einer kleinen Bucht das unverkennbare, gelbe Hackern eines Feuers. »Siehst du das?«
»Könnte ein Lagerfeuer sein. Was meinst du?«
»Sehen wir uns die Sache mal an.«
Sie hielten auf die Bucht zu und entdeckten an ihrer Spitze einen winzigen, geschützten Strand. Oberhalb der Gezeitenlinie knisterte einladend ein Feuer und erhellte das dichte Gewirr immergrüner Gewächse am Rand des Kieselstrands.
»Sieht eher wie ein Signalfeuer aus«, flüsterte Micum und steuerte dicht vor die Küste. »Könnten Fischer oder Piraten sein.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Du bleibst im Boot.«
Seregil glitt über die Seite in das hüfttiefe Wasser, zog das Schwert und watete an Land.
Der Strand befand sich an der Schmalstelle einer tiefen Kluft in dem umgebenden Riff, wodurch es unmöglich war, sich seitlich anzuschleichen. Zudem erhellte ihn das schräg einfallende Licht wie eine Bühne. Der Kieselstrand bestand aus kleinen, von den Wellen rundgescheuerten Steinen, die unter Seregils Stiefeln knirschten und knackten, während er weiter auf das Feuer zustapfte.
Ebensogut könnte ich mir eine Glocke um den Hals hängen, dachte er unbehaglich und sah vor seinem geistigen Auge Bogenschützen, die ihn von den Riffs aus im Visier hatten, und Schwertkämpfer, die im Dickicht lauerten.
Doch die Bucht erwies sich als friedvoll. Er hielt inne und lauschte aufmerksam. Über das Seufzen des Windes hinweg hörte er aus dem Wald die traurigen Gesänge von Tauben und Weißmücken sowie das abgehackte Krächzen eines Reihers, der irgendwo in der Nähe durch die Untiefen stakste. Nichts und niemand beunruhigte die Tiere.
Solchermaßen ermutigt, aber nach wie vor wachsam, schritt er knirschend über den Kieselstrand auf das Feuer zu. Er fand keinerlei Anzeichen eines Lagers, weder Rucksäcke noch Abfall. Als er sich den Flammen näherte, stellte er erschrocken fest, daß sie keine Hitze abstrahlten. Das Feuer war eine Sinnestäuschung.
Ein Zweig knackte im Wald; jäh duckte er sich und machte sich auf einen Hinterhalt gefaßt. Eine große, hagere Gestalt trat aus den Bäumen hervor.
»Da bist du ja endlich, mein lieber Junge«, begrüßte ihn eine vertraute Stimme auf Skalanisch.
»Nysander?« Nach wie vor mißtrauisch, verharrte Seregil, als der Magier die Kapuze zurückschob. Nysander präsentierte sich in Reisekleidung und trug ein altes Oberkleid und eine weite Hose. Der verblaßte Umhang war am Kragen mit der Bronzebrosche befestigt, die er stets verwendete.
Als er ins Licht trat, entfuhr Seregil ein erschüttertes Stöhnen. Selbst im rötlichen Schein des Sonnenuntergangs wirkte Nysander geisterhaft. Sein Antlitz war knochenbleich und tiefer zerfurcht denn je zuvor. Schlimmer noch, er wirkte eingesunken, geschrumpft, wie die verhutzelte, aus frischem Elfenbein geschnitzte Karikatur eines Greises. Nur die wachen Augen und die vertraute Wärme seiner Stimme schienen unverändert.
Das überraschende Element ihres unerwarteten Treffens jedoch ließ Seregil
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