Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
bedeutete eine Flucht mit Thero als Ballast und Mardus dicht auf den Fersen kein einfaches Unterfangen, doch Alec glaubte, eine Chance zu haben, wenn er sich geschickt anstellte, ständig in Deckung blieb und einen Vorsprung zu halten vermochte. Wenn nicht, würde er es auf einen Kampf ankommen lassen.
Bei den ersten Anzeichen, daß die Kolonne für die Nacht anhielt, entfernte Alec rasch den unschätzbaren Nagel aus dem Saum seines Kittels, steckte ihn in den Mund und bezog an den Gitterstäben Position, um das Treiben draußen zu beobachten. Wie üblich lenkte der Kutscher den Karren ein Stück vom Hauptlager weg und brachte ihn an den Riffs auf der seewärtigen Seite des Pfades zum Stehen. Mit wachsender Hoffnung bemerkte Alec den zusätzlichen Vorteil, daß sie sich nördlich des Hauptlagers befanden, wodurch ihn ein paar Hindernisse weniger von der Freiheit trennten.
Ashnazai ging kein Wagnis ein. Ein halbes Dutzend bewaffneter Soldaten eilte herbei, um die Gefangenen in ihre neue Unterkunft zu begleiten.
Die Höhle erwies sich als grobe, tiefe Spalte unterhalb einer Felsnase, die auf das Meer hinauswies. Sie war feucht, aber groß genug, daß man aufrecht darin stehen konnte. Eine dicke Eisenkrampe, von der zwei schwere Ketten hingen, war in eine Ritze in der hinteren Wand getrieben worden.
Eine der Wachen stellte auf Plenimaranisch eine Frage. Der Totenbeschwörer antwortete recht ausführlich; seine Männer lachten, dann schlangen sie das Ende einer Kette um Alecs Hals und sicherten es mit einem Vorhängeschloß.
»Er hat gefragt, ob ich will, daß er dich am Bein ankettet«, erklärte Ashnazai dem Jungen. »Ich habe ihm geantwortet: ›Ein wildes Tier beißt sich ein Glied ab, um aus einer Falle zu entkommen, aber ich glaube, selbst dieser gerissene junge Dieb kann sich nicht den Kopf abbeißen.‹«
Die Wachen, die immer noch über den Witz des vorons kicherten, ketteten Thero in selber Weise an, während Ashnazai sie offenkundig zufrieden dabei beobachtete.
»Das sollte reichen«, meinte er und rüttelte zur Sicherheit noch prüfend an der Krampe. »Ich würde dir raten, keine Mühe auf den Versuch zu verschwenden, dich aus diesen Fesseln zu befreien. Selbst wenn es dir irgendwie gelänge, du würdest feststellen, daß dir etwas wesentlich Gefährlicheres als Wachen oder Ketten den Weg versperrt. Und jetzt ruh dich aus, solange du noch kannst.« Er bedachte Alec mit einem weiteren verschlagenen, widerwärtigen Lächeln und fügte hinzu: »Unsere gemeinsame Zeit neigt sich dem Ende zu. Ich freue mich schon darauf, diese Nacht zu einer höchst erinnerungswerten für uns alle zu machen.«
Haß stieg Alec gleich bitterer Galle in die Kehle. Ashnazai stand nur ein paar Schritte entfernt, durchaus in Reichweite der Kette – Alec ballte die Hände an der Seite zu Fäusten und murmelte: »Ich werde dich so bald nicht vergessen.«
Ashnazai folgte den Wachen durch die niedrige Höhlenöffnung hinaus, dann drehte er sich um und wob eine Reihe Symbole in die Luft davor. Er selbst spazierte außer Sicht davon, aber Alec sah draußen mindestens zwei Soldaten. Sie unterhielten sich mit leisen, tuschelnden Stimmen, und ihre Schatten zogen am Eingang vorüber, als sie ein Feuer anzündeten und sich zum nächtlichen Wachdienst niederließen.
Ein Auge ständig auf den Eingang gerichtet, spuckte Alec den Nagel in die Hand und machte sich an die Arbeit. Zunächst untersuchte er das Schloß, das sie an Theros Kette angebracht hatten. Es war zwar groß und robust, die Konstruktion an sich jedoch erkannte er als einen lediglich mittelschwer zu knackenden Mechanismus.
Mit dem richtigen Werkzeug, fügte er in Gedanken hinzu. Der Nagel stellte kein sonderlich geeignetes Hilfsmittel für ein solches Unterfangen dar, doch er paßte in das Schlüsselloch. Alec schloß die Augen und bearbeitete damit einige Minuten lang die Ausnehmungen, bis er spürte, wie sie nachgaben. Alles in allem gab es vier davon; es dauerte eine spannungsgeladene Weile, bis er sie geknackt hatte, aber schließlich öffnete sich das Schloß. Er ließ das gebogene Ende hängen, das Theros Kette zusammenhielt. Solange es hinter seinem Kopf hing, würde niemand, der einen flüchtigen Blick hereinwarf, Verdacht schöpfen. Als nächstes beschäftigte er sich mit seinem eigenen Schloß, danach wandte er die Aufmerksamkeit Theros anderen Fesseln zu.
Das Schloß an der Hinterseite des Zaums war zu klein für den groben Stocher. Alec drehte Thero ins
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