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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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erstickten Schrei aus und umklammerte krampfhaft die Gitterstäbe. Alec griff hindurch und versuchte, das Schwert zu fassen zu bekommen, doch einer von Ashnazais Männern zog ihn zurück und hielt ihn fest, während der Totenbeschwörer die Klinge durch Seregils Bauch trieb und sie mit einem Ruck wieder herausriß.
    Seregil preßte ein rauhes Krächzen hervor und sank auf die Knie. Alec wand sich frei und fing ihn auf, versuchte, ihn durch die Stäbe zu halten. Er spürte heißes Blut an den Händen. Auch aus Seregils Mundwinkel troff Blut.
    Alec wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm den Dienst. Seregil blickte ihn an, und aus den großen, grauen Augen sprachen Kummer und Anklage.
    Abermals riß Ashnazai den Kopf des Sterbenden zurück und schlitzte ihm die Kehle auf. Aus den durchtrennten Arterien pulsierte noch mehr Blut und spritzte auf Alecs Gesicht und Brust.
    Einen Lidschlag lang bäumte sich Seregil kraftlos auf, während sein letzter Atemzug gurgelnd durch die klaffende Halswunde rasselte. Nach einem letzten Zucken erschlaffte er mit weit aufgerissenen, toten Augen.
    Schluchzend umklammerte Alec den Leichnam seines Freundes, bis die Soldaten Seregil von den Gitterstäben losschnitten und dem Griff des Jungen entrissen.
    Verächtlich blickte Ashnazai auf ihn hinab. »Das war höchst vergnüglich. Dein Ende kommt auch bald, nur wird es nicht so gnadenvoll sein. Aber ich glaube, daß weißt du ja schon.«
     
    Es war eine Sinnestäuschung gewesen, nur ein weiterer von Ashnazais Tricks.
    Immer und immer wieder redete Alec sich dies ein, während der Karren am nächsten Tag gen Norden rumpelte.
    Doch das getrocknete Blut an seinen Händen und Kleidern wirkte ziemlich echt. Das gleiche galt für die Flecken auf dem Segeltuchüberzug der Matratze und dem Holz am hinteren Ende des Karrens, wo Seregil zusammengesackt war.
    Seregil ist tot.
    Es war eine Sinnestäuschung.
    Seregil ist tot.
    Es war …
    Seine Trauer saß zu tief für Tränen. Sie war so allumfassend, daß sie alles andere verdrängte. Alec konnte weder essen noch schlafen, noch nahm er seine Umgebung wahr. Mit um die Knie geschlungenen Armen und herabhängendem Kopf hockte er in einem Winkel des Käfigs und sperrte die Welt aus.
    Seregil ist tot.
     
    Im Laufe des trostlosen, öden Tages spürte Alec häufig Ashnazais hämischen Blick im Nacken; der Totenbeschwörer labte sich an seinen Qualen wie an einem vorzüglichen Wein. Doch er hielt die Augen abgewandt, da er dieses selbstgefällige, zufriedene Lächeln einfach nicht mehr ertragen konnte. Ashnazai übte sich in Geduld und blieb ihm bis zum Nachmittag fern.
    »Die Wachen haben mir erzählt, daß du den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken hast«, meinte er, während er neben ihm herritt.
    »Schade, daß du deine Kraft so verkommen läßt«, fuhr er fröhlich fort. »Vielleicht kann dich ja ein wenig Ablenkung aufmuntern. Die Kundschafter haben eine Höhle gefunden, an der wir das Lager aufschlagen werden. Nach so vielen Tagen in diesem Käfig – ständig dem Zug und unzähligen Blicken ausgesetzt – dürfte eine behagliche Höhle eine angenehme Abwechslung darstellen, oder? Das wird höchst – wie sagt man doch gleich?« Er kicherte. »Höchst gemütlich.«
    Das gräßliche Lachen, mit dem er sich verabschiedete, ließ keine Zweifel daran aufkommen, daß Alec etwas besonders Unerfreuliches bevorstand. Er erzitterte, teils aus Furcht, teils vor plötzlich aufflammender Erregung. Dies konnte seine letzte Gelegenheit zur Flucht sein.
    Er schaute über das Meer und versuchte, sich auszumalen, wie viele Meilen sich zwischen ihm und Rhíminee erstreckten.
    Nysander war tot.
    Seregil war tot.
    Cilla. Diomis. Thryis. Rhiri.
    Die Namen prasselten wie Steine auf sein Herz ein. Sollte ihm die Flucht heute nacht nicht gelingen, wollte er wenigstens bei dem Versuch sterben.
    Manchmal war völlige Verzweiflung der beste Ersatz für Hoffnung.
     
    Der Troß wählte für das Nachtlager einen kleinen, vom Wald umgebenen Felsvorsprung. Unterhalb der Straße fiel das Gelände steil zu Riffs ab, gegen die das Meer toste.
    Zu diesem Zeitpunkt war Alec seine beschränkten Möglichkeiten bereits samt und sonders durchgegangen. Irgendwo im Norden befand sich die mycenische Grenze. Sofern es ihm heute nacht gelänge, sich zu befreien, stellte dies die einzig sinnvolle Richtung dar. Indem er der Küste folgte, verbesserte er die Aussichten, auf eine freundlich gesinnte Truppe zu treffen. Natürlich

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