Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
tuschelte er zurück, wobei die blauen Augen unter der schwarzen Farbe wild funkelten.
Mit diesem Bild im Herzen hastete Seregil hinter den anderen her.
Alec umfaßte den Pfeil mit der Faust und spürte die Macht, die er barg. Das Geräusch des Meeres glich mittlerweile dem Geräusch aus seinen Alpträumen, doch diesmal hatte der Pfeil eine Spitze.
Als er hinabschaute, sah er, wie der Dyrmagnos eine Handvoll Holzscheiben ins Wasser schleuderte. Sobald die letzte Scheibe versank, wurde die Oberfläche des Beckens still und glasig. Immer noch spülte die Flut an den Rand, aber die Macht des Dyrmagnos verhinderte, daß weiteres Wasser in das Becken floß, das inzwischen voll war. Gleich einem dunklen Spiegel warf die Oberfläche das schwarze Auge der Sonne zurück.
Irtuk Beshar hob die Hände und stimmte einen neuen Gesang an. Ein Mann wurde herbeigezerrt und vor ihren Füßen auf den Rücken geworfen. Soldaten hielten ihn an Händen und Füßen fest, während Harid Yordun sich mit der Axt näherte.
Verzweifelt wünschte sich Alec, nicht mitansehen zu müssen, wie er die Brust des Mannes spaltete, doch er wußte, daß er den Blick keinen Lidschlag lang abwenden durfte.
Harid schnitt das Herz heraus und warf es ins Wasser. Kurz und plätschernd kräuselte sich die glasige Oberfläche und beruhigte sich wieder, als wäre ein Schwalbenschwarm darüber hinweggeflogen. Ein weiteres Herz landete im Wasser, und abermals kräuselte sich die Oberfläche, diesmal heftiger.
Alec spürte, wie ein lautloses Zittern den Stein durchlief, auf dem er kauerte. Als die Axt sich abermals hob und niedersauste, setzte es neuerlich ein und schwoll zu einem gleichmäßigen Rhythmus an, der dem Pochen eines rasenden Herzes ähnelte.
Das Wasser in dem Becken wurde schwarz und zäh wie Teer. Nebelschwaden stiegen daraus auf, und mit ihnen erhob sich ein gestaltloses Stöhnen, das von allen Seiten leise widerhallte.
Seregil erkannte diese geisterhaften Stimmen und erinnerte sich daran, wie sie leise rings um ihn geflüstert hatten, während er über der Krone stand und sein Blut auf Eis und Kristall tropfte. Nun lag er in Ufernähe mit den anderen hinter einem umgestürzten Baum auf der Lauer und beobachtete, wie sich wabernde, verschwommene Schemen aus der Düsternis jenseits der Fackeln lösten und sich jäh mit den aus dem Becken aufkräuselnden Dampfschwaden vermengten. Das schwarze Wasser begann zu strudeln, als rührte ein Färber es mit einem Paddel um. Die Geisterstimmen wurden lauter, seufzten und kreischten. Gespensterhafte Erscheinungen fielen über Micum, Seregil und Nysander her, zerrten an ihren Kleidern und Waffen und zupften an Haarsträhnen. Die Luft verdichtete sich merklich und dämpfte das ohnehin spärliche Licht. Rasch zeichnete Nysander ein Beschwörungssymbol in die Luft, woraufhin die Erscheinungen sich zurückzogen.
Ungesehen von den Wachen, bahnten sie sich einen Weg in den Wald und folgten dem Pfad zur Spitze der Bucht.
»Macht euch bereit«, flüsterte Nysander. »Gleich ist es soweit.«
Etwas Kaltes huschte Alec unter dem Kittel über den Rücken. Die verrückten Luftwirbel wurden allmählich schlimmer; sie waren zwar immer noch zart, aber zu beharrlich, um sie zu verleugnen. Geisterhafte, halb aus dem Augenwinkel erspähte Schemen strichen sanft wie Spinnweben über sein Gesicht und verschwanden außer Sicht, sooft er versuchte, sie unmittelbar anzusehen.
Die Fackeln der Soldaten loderten grün und spuckten Flammenbrocken aus, die gleich Ratten am Beckenrand umhertänzelten, bevor sie von der gespenstischen Nebelsäule aufgesogen wurden, die sich über dem aufgewühlten Wasser bildete. Höher und immer höher stieg sie empor und wuchs zu einem grauen, flammengesprenkelten Pfeiler an, der sich in den verbrannten Himmel erstreckte. Einen langen Augenblick verharrte die Säule über dem Becken, während Geistgestalten rings um sie und durch sie hindurchschwirrten, dann, von ohrenbetäubendem, apokalyptischen Donner begleitet, zuckte ein einziger, gewaltiger blau-weißer Blitz durch ihre Mitte herab und schlug mit einer Explosion aus Dampf und Steinbrocken in das Becken ein.
Soldaten sanken auf die Knie und verbargen voller Entsetzen die Gesichter. Gleich einer kreischenden Wolke stoben die Raben auf und fügten ihre heiseren Stimmen dem übrigen Getöse hinzu. Aus der Richtung der Straße ertönte das panische Wiehern der dort angebundenen Pferde, gefolgt vom Klappern rumpelnder Karren, die
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