Schattengold
ihn, dass seine Untersuchungen nicht vorankamen.
Auch in diesem Fall hatte er außer dem Stück Papier mit dem Malagasy-Wort für ›Hund‹ keinen weiteren verwertbaren Hinweis in der Hand. Die Spuren im Foyer und im Orgelsaal deuteten darauf hin, dass es eine Verfolgungsjagd gegeben haben musste.
Das Verschwinden der Archivakten fiel keinem auf, weil sich niemand für die vergilbten Unterlagen interessierte. Wohl aber der Verlust der teuren Brosche des Kirchenmusikers. Zum ersten Mal, so stellte Kroll fest, ereignete sich ein Schmuckdiebstahl in Tateinheit mit einem dieser ›Zettelmorde‹. Er fühlte seine These vom Zusammenhang beider Tatbereiche bestätigt.
Dennoch passte für Kroll das Puzzle noch nicht zusammen. Wurde der Pedell umgebracht, weil er den Diebstahl beobachtet hatte? – Das konnte nicht sein. Der Mann war, als der Kirchenmusiker den Verlust seiner Brosche bemerkt hatte, weit entfernt auf Kontrollgang. Das hatte der Inspektor anhand der Kontrollstechuhren eindeutig nachweisen können.
Oder wurde der Dieb bei seiner Flucht überrascht? – Auch das klang wenig plausibel, schließlich hätte der Täter einfach mit den Zuschauern verschwinden können, anstatt quer durch die ansonsten verschlossene Musikhochschule zu laufen.
Wie hat er überhaupt das Gebäude verlassen können? Als schon alle fort waren? Möglich wäre es gewesen, da ja alle davon ausgingen, dass der Pedell als Letzter abschließen musste.
Jedenfalls, da war sich Kroll sicher, der von seinem Assistenten bevorzugte Uhrmachergeselle kam als Tatverdächtiger nicht infrage. Er hatte die Musikhochschule nachweisbar mit den anderen Gästen verlassen.
Allenfalls könnte man ihn als Dieb der Brosche vermuten. – Warum musste dann aber der Pedell sterben?
Kapitel 19: Holzkugeln
Frau Grell, seine Sekretärin, wollte den nächsten freien Tag mit ihrer neuen Eroberung, dem jungen Archiv-Assistenten, verbringen. Er interessierte sich weniger für Diskotheken als für Stadtgeschichte, historische Gebäude, archäologische Ausgrabungen und Museen.
Und für moderne Kunst. Das fand Frau Grell besonders sexy.
Heute wollten sie die Petrikirche besuchen, um die aktuelle Kunstausstellung von Valentin Rothmaler zu besichtigen. Der Assistent war ganz hingerissen. Frau Grell langweilte sich indes und drängte ihn zu einem Besuch der Plattform oben auf dem Petriturm.
Die kurze Fahrt mit dem Fahrstuhl führte sie in schwindlige Höhen. Ein uneingeschränkter Blick auf die Altstadt belohnte sie. Sie waren die einzigen Besucher und fühlten sich wie zwei Tauben über dem Alltag der Welt.
Sie küssten sich. Es war ein herrlicher Ort, um in der Einsamkeit hoch über den Dächern der Stadt Lebenserfahrungen auszutauschen.
Frau Grell lehnte sich weit über die Brüstung hinaus, sodass ihr Freund sie vor Angst fest um die Taille fasste und seinen Körper eng an ihr Hinterteil presste.
Ihr gefiel so viel Fürsorge.
Da entdeckte sie tief unten in den Schluchten der engen Altstadtgassen die Reklameflagge des Marionettenmuseums.
»Da schau! Das Puppenmuseum. Da war ich seit meiner Kindheit nicht mehr drin!«
Das musste, der Lautstärke ihres Freudenschreis nach zu urteilen, schon recht lange her sein.
»Lass uns wieder runterfahren und es besuchen! Dir gefallen Museen doch so gut …«
Ihm hätte im Moment zwar etwas ganz anderes gefallen, aber er wollte ihre kindliche Vorfreude nicht stören.
So kam es, dass sich bei der gehörlosen Kassiererin gleich zwei Besucher einfanden. Die Tageseinnahmen waren bislang mehr als dürftig, obwohl die Eintrittspreise im Vergleich zu den städtischen Museen recht moderat waren.
Frau Grell schwelgte in Erinnerungen: Da, der Clown mit dem gelb-blauen Zirkuskostüm, in den sie schon als kleines Mädchen verliebt war. Und da hinten, Moto Rafael, dem sie seinerzeit ihre intimsten Träume anvertraut hatte.
Der Archiv-Assistent schwelgte in dem bizarren Halbdunkel des Museums in anderen Wunschträumen.
Das merkwürdige Schlittengefährt auf dem Podest mit der orientalischen Holzfigur kannte Frau Grell noch nicht. Ihr Freund erklärte ihr umständlich und betont sachlich, dass es ein Modell der berühmten Zeitmaschine sei, aus dem bekannten Film.
Den kannte sie leider auch noch nicht, beschloss aber insgeheim, den jungen Mann demnächst ins Kino einzuladen, in die hinterste Reihe.
Derart in angenehme Gedanken versunken, gingen sie in den letzten Raum, in dem der Schulreiter Hansi auf seiner Rosinante thronte.
Weitere Kostenlose Bücher