Schattengold
Kinobesuchen?«
»Du hast recht. Schau dir erst mal den Ort in Ruhe an. – Lass uns aufbrechen. In Travemünde wartet genug Arbeit für den Rest des Tages. – Und außerdem kann man dort sonntags herrlich shoppen gehen!«
*
Das Haus in dem zu Lübeck gehörenden Badeort Travemünde lag etwas abseits. Dennoch war es zum Strand nur wenige Schritte weit. Vom oberen Stockwerk aus konnte man die Segelboote auf der Ostsee verfolgen. Jetzt, an diesem spätherbstlichen Sonntag waren nur noch wenige Boote unterwegs. Obwohl die Sonne kräftig leuchtete, blies ein frischer Wind aus Ost, der sich auf seinem langen Weg in der Lübecker Bucht stark abgekühlt hatte. Einige Boote fuhren unter Motor Richtung Neustadt. Die Skipper hatten keine Segel gesetzt, weil sie Kurs aufs Winterlager nahmen. Die Segelzeit ging zu Ende.
Judith parkte ihr Auto in der kleinen Garageneinfahrt neben dem Haus. Das alte, aber gepflegte Häuschen machte mit seiner Holzfassade einen gemütlichen Eindruck. Doch statt ins Haus zu gehen, schlug sie vor: »Komm, lass uns erst ein paar Einkäufe machen, bevor wir hier nach dem Rechten sehen. Mein Parfüm geht zu Ende, und für dich finden wir vielleicht ein anderes Kleid. Etwas moderneres. Das würde dir bestimmt gut stehen.«
Ehe Ria protestieren konnte – sie erinnerte sich an ihren bescheiden ausgestatteten Geldbeutel – nahm Judith sie am Arm und zog sie Richtung Zentrum. Die Geschäfte in der Vorderreihe, der touristischen Flaniermeile Travemündes, durften auch an Sonntagen öffnen. Und angesichts des herrlichen Wetters war es nicht verwunderlich, dass dort ein reges Treiben herrschte. Judith kannte sich offenbar gut aus, denn sie steuerte zielsicher einen kleinen Parfümladen an.
Sie blieb vor einem Regal mit den Produkten eines bekannten, etwas älteren Mannequins stehen. »Hier, das ›Cat Deluxe‹ gefällt mir.« Sie sprühte sich einen Hauch auf den Handrücken. »Riech mal.«
»Hm, ja, verführerisch.« Ria lächelte verhalten und lenkte Judiths Aufmerksamkeit auf das gegenüberliegende Regal. »Aber doch wohl nur für die reifere Frau. – Hier, das kenne ich: ›Pussy Deluxe‹. Ich finde es jung und frech.« Sie tupfte sich ein wenig hinters Ohr und hielt es ihrer Freundin hin. »Das würde dir auch gut stehen.«
Judith umarmte sie und schmiegte ihre Wange vertraulich an Rias Hals. »Oh ja, süß. Wirklich betörend. Das gefällt mir ausnehmend. Ich glaube, ich werde meine Duftnote wechseln.« Sie gab ihr einen unmerklichen Kuss auf das Ohrläppchen. »Vielen Dank für den Tipp. Du verwöhnst mich. – Jetzt aber bist du dran.«
Das Paar schlenderte zum nächsten Laden. Im Schaufenster hing ein dunkelbraunes langes Abendkleid mit Trägern im Lingerie-Look. »Das würde perfekt zu deinem Bolero passen!« rief Judith.
»Sicher. Aber ich kann mir das momentan nicht leisten«, bedauerte Ria.
»Weißt du was? Probier’s einfach mal an. Wenn’s dir steht, schenke ich es dir.«
»Aber das kann ich doch nicht annehmen«, protestierte die Jüngere.
»Warum denn nicht? Versteh das als Anwerbungspräsent – für deinen neuen Job in meinem Ferienhaus. Wenn du willst, kann ich es dir ja später vom Gehalt abziehen.«
Sie betraten lachend den Laden. Schnell war das Abendkleid zur Hand, und beide drängten sich in eine der Umzugskabinen. Judith half Ria beim Entledigen ihrer Oberbekleidung.
»Das Haarband muss aber auch runter«, entschied Ria. Ich will mich nicht länger hinter einer Filmdiva verstecken. Ich will meinen eigenen Stil finden, und ich glaube, du kannst mir dabei helfen.«
Ihr langes blondes Haar legte sich wallend um ihre Schultern.»Du hast eine beneidenswerte Figur«, flüsterte Judith. Sie umfasste den Busen ihrer neuen Freundin. Ria schloss die Augen und genoss die Zärtlichkeit.
»Ich bin froh, dass du bei mir bist«, flüsterte sie. »Komm, hilf mir beim Anziehen.« Als sie vor den Spiegel trat, waren beide begeistert. Zusammen mit dem Bolero sah Ria wunderschön aus. Nichts erinnerte mehr an die Zofe, die sich gern mit den fremden Federn einer Leinwandheldin schmückte. Mit ihrer selbstbewussten Eleganz stand sie Judith in nichts nach. In dem kleinen Laden erregten beide die ungeteilte Aufmerksamkeit der anderen Kundinnen.
»Das Kleid nimmst du!« Judith ließ es einpacken, und beim Zahlen fragte sie: »Was meinst du? Wie wär’s, wenn wir beide heute Abend zum Ball ins Maritim ausgehen? Hättest du Lust zu tanzen – mit mir?«
»Warum nicht!
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