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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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zurückzukehren.
    Nur Raik verstand sie.
    Was hatte sie damals auf dem Segelboot zu ihm gesagt? ›Zeit bedeutet für mich, in die Zukunft schauen zu können. Ich versuche das mit meiner Musik.‹

     

Kapitel 18: Über den Dächern

    Niemand klatschte Beifall, keiner rührte sich. Jeder einzelne der Anwesenden stand völlig im Bann der exotischen Musik. Erst nach langen Minuten der Versunkenheit erhob sich der eine oder andere Zuhörer. Keiner spürte Lust zu irgendeinem belanglosen Plauschgespräch.
    Die Musiker kramten bedächtig ihre Instrumente zusammen und mischten sich unter das Publikum. Nur Rana Ampoinimera verschwand rasch, ohne sich um die anderen zu kümmern. Sie spürte die Beschränktheit von Radamos Musikalität.
    Oder war sie mit sich selbst nicht im Reinen? Merkte sie, dass sie und ihr Sohn Aina nicht erreicht hatten? Das Einvernehmen zwischen den beiden Liebenden erschien jetzt unzerbrechlich.
    Hatte ihr Musikempfinden versagt? Rana begann zu ahnen, dass sich die junge Sängerin musikalisch zu ihrer Meisterin entwickeln würde.
    Aina, die nicht um das Geheimnis zwischen Rana und Radamo wusste, konnte nicht im Entferntesten ahnen, dass sie mit ihrem Gesang einen wichtigen Beweis erbracht hatte, nämlich die Erkenntnis, dass auch in der Musik die Natürlichkeit klar über die Künstlichkeit triumphierte. Sie hätte dann Debussy zutiefst verstanden, so wie ihn Raik seinerzeit zitierte: ›Man lauscht zu wenig auf die so vielfältige Musik, die uns die Natur überreich anbietet.‹

     
    Aina schwamm in Glückseligkeit. Sie ging auf Raik zu und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mundwinkel. Eine Erinnerung an ihren gemeinsamen ersten Segeltag schoss ihr durch den Kopf.
    »Danke für deine Zeit, Raik.«
    Der junge Mann verstand sofort. Dann wandte sie sich ihren Eltern zu. Wortlos umarmten die beiden Cortes ihre Tochter. Tränen standen in den Augen der Mutter.
    Die hatte die Liebe zwischen ihrer Adoptivtochter und dem jungen Uhrmacher längst bemerkt und spürte, dass es an der Zeit war, Aina bei passender Gelegenheit über ihre Herkunft aufzuklären.
    Raiks Mutter legte ihre Hand seufzend um den Hals ihres Sohnes und wünschte ihm viel Glück mit Aina. Die Musik hatte sie längst vergessen. Dann ging sie auf Ria zu, die sich währenddessen schüchtern am Rande gehalten hatte.
    »Komm, mir ist noch nach einem Mojito in der Havanna Bar zumute.« Ohne sich um die Blicke der anderen zu kümmern, hakte sie sich resolut bei Ria unter und zog sie, ehe diese etwas erwidern konnte, mit nach draußen in die noch milde Herbstluft.
    Der Kirchenmusiker, der zutiefst von der spieltechnischen Leistung Radamos beeindruckt war, drückte ihn aufrichtig für das schöne Musikerlebnis dankend an die Brust.
    »Gute Arbeit, junger Mann!«
    Radamo blieb ihm die Antwort schuldig.
    Verlegen ordnete jeder seine Sachen und machte sich auf den Heimweg. Der Rektor suchte geistesabwesend nach seiner Brille, die Gesangslehrerin kaute aus Versehen auf ihrem Finger, den Bleistift hatte sie ja nicht dabei. Der Kirchenmusiker wollte aus alter Gewohnheit seine goldene Anstecknadel ans Herz pressen.
    Aber sie war weg!
    Er bückte sich unter die Sitzreihe, konnte das teure Stück aber nicht finden.
    »Wahrscheinlich habe ich sie zu Hause liegen lassen.«
    Musiker sind eben auch nur Menschen – zerstreute Menschen.
    Draußen entfernte sich eine gut gekleidete Gestalt mit einem kleinen Köfferchen in der Hand rasch in Richtung rückwärtiges Foyer.
    Nicht zum Ausgang, der näher lag.
    Sie schritt zielstrebig durch einige verwinkelte Gänge, durchquerte ein paar Übungsräume und erreichte unbehelligt die Hochschulbibliothek. Von dort führte eine versteckte, steile Treppe in den Keller.
    Sie konnte nicht wissen, dass ausgerechnet hier und heute der Pedell mit seinem Patterdale-Terrier eine Kontrollrunde machte.
    Der Hund knurrte leise. Das Zeichen kannte sein Herr. Schnell sprangen beide hinter ein Regal und beobachteten die verdächtige Gestalt, die sich im Halbdunkel an einem Schrank zu schaffen machte, in dem alte Archivakten aufbewahrt wurden.
    Hm, wenn ich mich nicht irre, sind in dem Schrank nur die Unterlagen über den Ausbau der Musikhochschule. Für den alten Kram hat sich doch noch nie jemand interessiert!, dachte der Pedell. Das Schloss bereitete der Gestalt keine Schwierigkeiten. Sie zog einen verstaubten Ordner hervor, riegelte den Schrank wieder zu und wollte sich davonmachen.
    »Halt, stehen geblieben! – Was machen Sie

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