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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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dem Täter
nicht unmittelbar nach dem Verschwinden der Frauen einen riesigen
Medienauftritt zu gönnen.»
    «Na gut, vielleicht kommen wir dann ja doch noch weiter.»
    «Bestimmt. Und bei dir, am Wochenende die grosse Feier?», fragte
Heini, der von Sabinas Geburtstag wusste.
    «Ja, es kommen schon ein paar Leute», sagte sie. «Hab mir Montag und
Dienstag auch noch freigenommen. Ich mach dafür am Donnerstag an der Auffahrt
Dienst, wenn ihr alle freihabt.»
    «Wo ist denn deine Feier?», fragte Heini.
    «In Obergmeind. In dem alten Genossenschaftshaus.»
    «Oh ja, das ist schön», sagte er. «Und woher kommen die Leut?»
    «Zürich, Basel, Bern, Stuttgart, Köln, Wien – eigentlich von
überall her.»
    «So viele Freunde hast du?»
    «Hm.»
    «Na dann, feiert schön.»
    Sabina fuhr nach Thusis und parkte direkt am Coop. Sie hatte
beschlossen, selbst für ihre Gäste zu kochen. Als Entrée einen Salat mit
Limonen-Vinaigrette, gebratenem Speck, gedünsteten Honigkarotten und gerösteten
Haselnüssen. Dann eine Kartoffelsuppe mit Pilzen, gefolgt von selbst gemachten
Ravioli mit Spinat-Knoblauch-Füllung. Als Hauptgang ein Rinderfilet in
Apfel-Calvados-Sauce und zum Abschluss eine Panna Cotta. Beschwingt packte sie
die Sachen in ihre Transportkiste und bezahlte mit der EC -Karte. Siebenhundert
Franken. Das waren ihr ihre Freunde allemal wert.
    Obergmeind, eine kleine Skistation mit Bauernhöfen und Gasthäusern,
lag auf etwa tausendachthundert Metern Höhe. Lilafarbene Krokusse mit
safrangelben Stempeln krochen aus dem Boden. Um diese Jahreszeit, so schien es,
erholte sich der Berg und bereitete sich auf den Sommer vor. Sabina fuhr direkt
an das alte Genossenschaftshaus heran, in dem sie als Kind oft mit ihren Eltern
gewesen war. Unter der Fussmatte lag der Schlüssel. Die Tür knarzte. Im Vorraum
hing ein altes Wandtelefon, schwarz und schwer, ein Kommunikationsinstrument
aus vergangenen Zeiten. Sabina ging in die Stube, öffnete die Fenster und liess
frische Luft herein.
    Wände und Decken des Raums waren mit alten Vertäfelungen verziert.
Im Kachelofen lag Holz für ein Feuer. Ein Stockwerk darüber boten niedrige
Kammern Raum zum Schlafen. Rot-weiss karierte Vorhänge zierten die winzigen
Fenster. Jede Diele knarzte auf eine andere Weise, von den Betten ging eine
wohlige Urigkeit aus. Die Geräusche der Dielen, der Geruch nach altem Holz –
Sabina fühlte sich im Nu in ihre Kindheit zurückversetzt.
    Sie blickte auf den Piz Beverin, der wie ein Stein gewordener Riese
über den Heinzenberg wachte. Wie oft hatte sie mit ihrem Vater auf diesen Berg
geschaut und Phantasieformen in den Wäldern und Felswänden erkannt. Wie oft war
sie als Kind hinaufgerannt zur Lüschalp und zum Pascuminer See. War am Abend
vor dem Haus gesessen und hatte die umliegenden Berge im Abendrot genossen: das
Muttnerhorn, den Piz Mitgel, das Lenzerhorn und die Engadiner Riesen um den Piz
Kesch.
    Zurück in der Stube rückte sie die Tische zu einer langen Tafel
zusammen, stellte Kerzen und Weingläser darauf, richtete die Getränke her,
bereitete Teller und Besteck vor. In der Küche reihte sie alles um den Herd
herum auf, was sie zum Kochen brauchte. Dazu liess sie Sufimusik aus Usbekistan
laufen.
    Am Abend setzte sie sich vor die Hütte und betrachtete den
Sternenhimmel. Ihr Vater hatte ihr als Kind die Sternbilder gezeigt. Sie suchte
das Bild, in dessen Zeichen sie geboren war. Doch sie musste sich eingestehen,
dass sie nicht einmal mehr wusste, wie der Stier genau aussah. Frühere
Generationen hatten sich so intensiv mit dem Himmel beschäftigt. Hatten ganze
Systeme und Religionen daraus entwickelt. Den heutigen Menschen entgingen diese
Zeichen fast völlig.
    Als am Sonntagmorgen die Sonne über dem Piz Beverin aufging,
bewegte sich die komplette Geburtstagsgesellschaft zum Pascuminer See, um den
Tag mit einem Bad zu begrüssen. Am Sonntagabend brachte Sabina achtunddreissig
leere Weinflaschen zum Altglascontainer und fiel danach in einen Schlaf, der
bis zum Montagmittag dauerte.

2
    «Und, für morgen schon was geplant?», fragte Heini, als er am
Mittwochnachmittag vor Christi Himmelfahrt in die Kaffeeküche kam.
    «Ich hab doch Dienst», sagte Sabina.
    «Ach ja, stimmt.»
    «Und du?»
    «Fleisch!», sagte Heini.
    «Hä?»
    «In meinem Horoskop steht: ‹Sie dürfen sich ruhig mal wieder etwas
gönnen.› Das kann nur Fleisch sein.»
    «Glaubst du an Horoskope?»
    «Nur wenn es mir passt. Du?»
    «Ich hab mir mal von einer Tibeterin

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