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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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Spiel halten. Angesichts dieses Anblicks aber kamen ihr die Tränen.
Erst jetzt fielen ihr die Felszeichnungen neben den Leichen ins Auge.
Labyrinthartige Kreise, Tierdarstellungen, Sonnen – uralte Symbole.
    Ihr Herz trommelte. Das Symbol gestern auf der Tür im Keller hatte
ganz ähnlich ausgesehen wie eines der Kreismuster. Und überhaupt, wo war
Malfazi? Und wann kam endlich Heini? Sabina fragte Beeli, ob er etwas von den
beiden gehört habe. Er verneinte. Sie rief noch einmal an. Nichts.
    «Weisst du was Genaueres über die Felsen?», fragte sie Beeli.
    «Die Felsbilder sind ein paar tausend Jahre alt. Wurden
wahrscheinlich in der Bronzezeit eingemeisselt. Wenn du mehr wissen magst, frag
den Deutschen in Schloss Mondfels.»
    «Ist das diese Stiftung?», fragte Sabina.
    «Ja, unten am Heinzenberg. Der Besitzer ist, glaub ich, ein ganz
umgänglicher Mann. Die Leute reden halt nur immer.»
    «Was reden die Leute?»
    «Na ja, in diesem Schloss leben oft Fremde. Künstler, Esoteriker, was
weiss ich. Leute, die sich mit Dingen beschäftigen, die man nicht so versteht.»
    «Ich werde mir das anschauen», sagte Sabina. «Aber erst mal fahr ich
nach Hause. Muss mich ein bisschen ordnen, bevor ich ins Polizeikommando
komme.»
    «Mach das», sagte Beeli und schenkte ihr einen mitfühlenden Blick.
    Sie fuhr sich durchs Haar und lächelte. «Ruf mich bitte an, wenn ihr
hier fertig seid. Ich informiere die Eltern von Katharina Jakobs. Die anderen
soll bitte Freisler unterrichten.»
    «Das kannst du ihm selber sagen.» Beeli deutete auf den Pfad, der
zum Felsen führte. Freisler und Heini kamen zusammen und blieben beide zunächst
stumm angesichts des Anblicks, der sich ihnen bot.
    Als Katharina Jakobs’ Mutter die Tür öffnete, ahnte sie offenbar
sofort, was geschehen war. Sie hatte schwarze Ringe unter den Augen und sah um
Jahre gealtert aus. Vermutlich hatte sie in den letzten Wochen kaum geschlafen.
Nachdem sie zunächst nur weinte und kein Wort herausbrachte, schlug die Trauer
plötzlich in Zorn um.
    «Sie haben mir versprochen, meine Tochter zu finden! Sie haben
gesagt, dass Sie alles tun, was Sie können!»
    Sabina sah betreten zu Boden.
    «Frau Jakobs», sagte sie, «es tut mir sehr, sehr leid, was passiert
ist. Und glauben Sie mir, wir werden alles tun, um dieses furchtbare Verbrechen
aufzuklären.»
    «Aber Sie haben es gesagt», schluchzte die Frau, «Sie haben gesagt,
dass meine Kathi zurückkommt!»
    Sabina kämpfte selbst mit den Tränen. Diese direkte Konfrontation
mit dem Leid eines Anverwandten machte es ihr fast unmöglich, professionelle
Distanz zu wahren. Hier brachen sich sämtliche Gefühle einer Frau Bahn, die
gerade ihr Kind verloren hatte. Sabina erinnerte sich an ihre Reaktion, als ihr
Vater bei einem Autounfall gestorben war. Es war dieselbe Trauer, dieselbe Wut
gewesen. Als Frau Jakobs ihre Stimme wiedergefunden hatte, hämmerte sie ihre
Fassungslosigkeit in einen einzigen Satz:
    «Wie kann Gott so etwas zulassen?»
    Und dann, nach einer langen, tränenreichen Pause:
    «Warum meine Kathi? Warum?»
    Sabina musste an das Gespräch denken, das sie vor einigen Wochen mit
Heini geführt hatte. Ob alles, was man im Leben erlebt, die Ernte von etwas
ist, was man vorher gesät hat. Karma. Gott. Gerechtigkeit. Es erschien ihr
absurd. Was konnten die drei Frauen getan haben, um derart grauenvoll zu Tode
zu kommen?
    Sabina verabschiedete sich von Frau Jakobs und von Katharinas Vater,
der zwischenzeitlich hinzugekommen war und kein Wort sagte.
    Aufgewühlt fuhr sie auf die andere Talseite hinauf nach Donat. Sie
versuchte noch einmal, Malfazi zu erreichen, wieder sprang nur seine Mailbox
an. Zu Hause angekommen machte sie sich einen Kaffee und dachte nach.
    Wo waren die Frauen all die Zeit versteckt gewesen? Wie und wo waren
sie getötet worden, wie waren die Leichen auf die Felsen gekommen? Und was
hatten die Wortbotschaften mit all dem zu tun?
    Sie hörte noch einmal Bühlers Nachricht ab: Spital,
Sonnenläufer, Perser, Löwe, Zauberberg, Vater  – das waren die sechs
für sie neuen Worte, an die er sich erinnert hatte. Sechs neue Ansatzpunkte,
vor allem aber sechs weitere Hinweise darauf, dass das Morden vermutlich erst
angefangen hatte. An den Leichen und in der Umgebung waren keine Schmuckstücke
gefunden worden. Sollten die vier Schmuckstücke, die Bühler angefertigt hatte,
womöglich auf vier weitere Opfer hindeuten? Dann wären insgesamt sieben Opfer
zu erwarten.
    Sabina ging zu der Pinnwand, an

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