Schattengott
zu
den Duschen. Fünf verschiedene Duscharten standen zur Auswahl. Verrückt, dachte
sie und zog kurzerhand an einer Schnur, sodass sich ein Kübel eiskalten Wassers
über sie ergoss. Die einfachste Methode ist manchmal die beste, dachte sie.
Als sie ins Aussenbecken glitt, waren die Lichtsäulen am Beckenrand
in ein warmes Lila getaucht. Die Umrisse der Berge verschwanden in der
aufziehenden Dunkelheit, der Mond schimmerte vanillefarben. Sie legte sich auf
die sprudelnden Wasserdüsen und schaute hinauf zum Kirchturm, der orangefarben
angestrahlt wurde. Dort an der Kirchturmwand hatten die Täter ihre zweite
Botschaft hinterlassen. War der Spezialdienst seither entscheidend
weitergekommen mit den Ermittlungen?
Sie wussten inzwischen, dass die Morde etwas mit Mithras zu tun
hatten, dass es sich um eine grössere Gruppe handeln musste und dass die Täter
vor brutalster Gewalt nicht zurückschreckten. Sie konnten stark davon ausgehen,
dass Christian Schlorf etwas damit zu tun hatte. Aber sonst? Alle Bewohner des
Schlosses hatten Alibis, und Schlorf selbst war nicht zu finden. Auch die
Kollegen aus Deutschland konnten nach wie vor keine Angaben machen, wo sich der
Mann befand. Eine Durchsuchung der Wälder rund um Schlorfs Heimatort war nach
zwei Tagen abgebrochen worden.
Die Kollegen, die den Mord an Bühler aufklärten, konnten ebenfalls
keine verwertbaren Indizien beisteuern. Offensichtlich hatte niemand einen
Täter beobachtet. Auch das Phantombild des Mannes, der in Zürich möglicherweise
das Fax an Bühler aufgegeben hatte, brachte keine brauchbaren Hinweise. Und was
war von Volkes Meinung zu halten? Möglicherweise kamen die Mörder ja wirklich
nicht aus der Gegend, aber Muslime? Sabina hielt das für absurd. Wer immer hier
mordete, musste einen konkreten Bezug zum Schams haben. Zum antiken Gott
Mithras. Und zum Christentum. Die zuletzt Vermissten setzten den Spezialdienst
noch mehr unter Druck. Umso wichtiger war es, jetzt nicht zu verkrampfen.
Sabina glitt ins Wasser und tauchte erst in der Schwimmhalle wieder auf.
Im Dampfbad roch es nach Jasmin. Sie streckte sich auf der warmen
Kachelbank aus und freute sich, dass sie allein war. Der Dampf hüllte sie ein,
bis sie nicht mal mehr die gegenüberliegende Wand sehen konnte. Sie atmete tief
ein und wieder aus. Als ein italienisches Pärchen hereinkam, stand sie auf und
kühlte sich ab. Sie liess sich ein kaltes Fussbad ein und trank einen Becher
reinen Quellwassers dazu.
Andeer war tags wie nachts ein hübscher Ort. Stattliche Häuser,
verwinkelte Gassen und verwunschene Hinterhöfe schufen eine malerische
Atmosphäre. In Orten wie diesem manifestierte sich die liebenswerte Seite der
Bündner Sturheit: Die Dinge veränderten sich kaum, alte Gebäude, Rituale und
Brauchtümer wurden trotz des Touristenandrangs bewahrt. Und nur ganz leise
wehte ein sanfter Hauch von Moderne durch den Ort.
Ein zotteliger Hund folgte ihr seit einiger Zeit. In den Gaststuben
brannte Licht. Vor einem uralten Haus, das mit einem lückenlosen
Sgraffitomantel verziert war, blieb sie stehen. Hatte dieses Haus, mehr als
fünfhundert Jahre alt, den Mithrasmörder inspiriert? Warum sonst hatte er den
Sgraffitostil gewählt und hier an der Kirche von Andeer seine Botschaft
hinterlassen? Hier musste er entlanggegangen sein, so wie sie jetzt. Wer war
er?
* * *
Wieder hatte alles wie vorgesehen geklappt. Die Mitbrüder hatten
die Opfer in drei gestohlenen Wagen entführt. Nach dem Umladen in ein anderes
Fahrzeug waren sie zu einer alten Scheune im Oberhalbstein gefahren und hatten
den Wagen untergestellt. Von dort aus hatten sie die drei neuen Opfer im Schutz
der Nacht auf Maultieren über den Kamm gebracht. Die Frauen waren jetzt in den
Schächten. Sie wurden mit dem Honig der Reinigung einbalsamiert und für die
Opferung vorbereitet. An Fronleichnam würde es so weit sein.
3
Sabina war die einzige Polizistin auf Bühlers Beerdigung.
Die gerichtsmedizinischen Untersuchungen im Kantonsspital hatten
nichts Verwertbares ergeben. Der Schmuckmacher war mit einem seiner
Kunstgegenstände erschlagen worden, vermutlich von einem Linkshänder. Der Tod
war um etwa einundzwanzig Uhr am Tag vor Christi Himmelfahrt eingetreten. Am
Tatort hatten sich diverse DNA -Spuren gefunden. Eine davon war auch an
den Leichen von Carschenna gesichert worden. Die Durchführung eines
Massen-Gentests war in der Diskussion, rechtlich allerdings schwer
durchzusetzen. Bühlers Beerdigung indessen stand nichts mehr
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