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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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konnte.
    «Warum nicht», sagte sie und bekam im Handumdrehen ein eigenes
Gedeck und einen Milchkaffee dazu.
    «Wir haben uns gerade über Fleisch unterhalten», sagte Rosenacker.
«Frau Hauksdóttir ist Veganerin und lehnt es ab, irgendetwas vom Tier zu essen.
Wie sehen Sie das?»
    «Ich mag Tiere, aber ich mag auch ihr Fleisch», sagte Sabina. «Darum
achte ich darauf, dass das Fleisch aus der Gegend kommt, von Höfen, die ich
kenne. Aber wie man sieht, geht es ja auch ohne.»
    Die Unterhaltung wechselte ins Englische und blieb lebhaft. Als alle
mit dem Essen fertig waren, präsentierte Sabina den eigentlichen Grund ihres
Besuchs: fünf Wattestäbchen in kleinen Plastikbehältern. Sie machte klar, dass
die Abgabe einer Speichelprobe freiwillig, aber äusserst hilfreich wäre. Die
Männer willigten sofort ein, auch der Koch erklärte sich zur Abgabe einer Probe
bereit. Lediglich die Isländerin weigerte sich. Sie wolle nicht in einer Datei
auftauchen, sie halte nichts von diesen Überwachungssystemen. Sabina
beschriftete die Proben und tütete sie ein. Sie bedankte sich für das Essen und
die gute Kooperation.
    Reto Beeli nahm die Proben überrascht entgegen.
    «Alles freiwillig», sagte Sabina.
    «Respekt», sagte Beeli, «während unsere Oberen eifrig über einen
Massengentest diskutieren, fängst du einfach damit an.»
    «Die Idee kam mir gestern Abend, ich musste das einfach probieren.»
    «Okay, ich melde mich, sobald ich Ergebnisse habe. Schönen Abend,
Sabina.»
    «Dir auch, Reto.»
    Sabina rief Malfazi an und teilte ihm mit, dass es ihr gelungen sei,
Speichelproben aller männlichen Schlossgäste zu organisieren. Malfazi freute
sich über den Coup und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass sie nun wieder
voll einsatzfähig sei.
    In der Nacht dachte Sabina noch einmal über die Bewohner des
Schlosses nach. Diese bleiche, stille Isländerin kam ihr sonderbar vor. Sie war –
nach konventionellen Kriterien beurteilt – völlig neben der Spur. Warum
verbrachte jemand sein Leben damit, Labyrinthe in Steine zu hauen? Drehte man
sich dabei nicht fortwährend um sich selbst? Vielleicht war sie Opfer eines
Missbrauchs geworden und therapierte sich auf diese Weise. Warum sollte es
solche Missbrauchsfälle, wie sie zuletzt vor allem aus Deutschland bekannt
geworden waren, nicht auch in Island gegeben haben?
    Sabina blätterte in ihrer Fachliteratur auf der Suche nach
Informationen zu Profilen weiblicher Serienmörderinnen. Sie fand Artikel zu
sogenannten schwarzen Witwen, die ihre Männer aus Habgier getötet hatten. Es
gab die ein oder andere historisch belegte Mordserie einer Frau an ihrer
Familie, auch an den eigenen Kindern. Zumeist aus Not und im Zusammenhang mit
familiären Krisen. Es gab einige Fälle von Selbstjustiz. Die vielleicht grösste
Massenmörderin der Geschichte war eine Vizekönigin von Ungarn gewesen,
Elisabeth Báthory. Sie sollte im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts über
sechshundert junge Frauen und Mädchen gefoltert und getötet haben. Angeblich
rieb sie sich mit dem Blut der Jungfrauen ein, um ewige Schönheit zu erlangen.
Die Mörderin wurde 1610 auf frischer Tat ertappt – hingerichtet wurde sie
wegen ihrer adligen Herkunft nicht.
    Aber Báthory war eine Ausnahme gewesen. Nie mehr danach war eine
derart blutrünstige Frau auf die Bühne der Welt getreten. Laut Statistik ging
heute etwa jeder achte Mord auf das Konto einer Frau. Allerdings kannten Frauen
fast immer ihre Opfer und töteten nur in seltenen Fällen
Geschlechtsgenossinnen. Nein, sie verirrte sich. Diese introvertierte,
feinsinnige Isländerin hatte nichts mit den Morden zu tun. Sie war
wahrscheinlich weiter von einer solchen Tat entfernt als Island von der
Schweiz. Wer auch immer zu dieser Gruppe von Mithrasmördern gehörte: Es
handelte sich um Männer. Der historische Mithraskult war Frauen verwehrt
gewesen. So war es sicher auch mit der pervertierten Variante. Sie musste
keinen Gedanken mehr an eine Frau als Mittäterin verschwenden. Keine Frauen hinter dieser Tür . Seit sie Malfazis
Freizeitaktivitäten entlarvt hatte, kümmerte er sich viel intensiver um die
Ermittlungen. Er leitete sie jetzt mit grossem Engagement. Er hatte
ursprünglich sicher nicht zum Plan gehört. Zum Plan aber gehörten aller
Voraussicht nach noch vier weitere Morde. Und diese mussten sie verhindern.
Fronleichnam war das nächste christliche Fest.

4
    Die genauere Untersuchung der gestohlenen Fahrzeuge hatte
ergeben, dass die Frauen

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