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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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was immer du wünschst. Das weißt du. Doch er soll gehen. Ich möchte nicht, dass er etwas von meiner Kunst zu sehen bekommt.«
    Und damit verschränkte er die Arme vor der Brust und drehte Neferti und Simon den Rücken zu. In dieser Haltung wirkte er wie eine misslungene Karikatur der erhabenen Katzengöttin, der er gerade gegenüberstand.
    »Er ist ein besonderer Freund«, beharrte Neferti. »Du kannst ihm vertrauen.«
    Doch der Ägypter verzog nur unwillig das Gesicht, was ihm mit seinen vielen Falten einen merkwürdigen Ausdruck verlieh.
    Neferti trat auf Simon zu. »Es ist besser, du gehst«, sagte sie mit Bedauern. »Ich kenne ihn. So wird er uns niemals helfen.«
    »Aber wer ist er denn?«, flüsterte Simon, obwohl er sicher war, dass der Ägypter jedes Wort verstand.
    »Er ist in Amarna der Priester mit dem höchsten Ansehen. Er ist gelehrt und weise und wird von allen geschätzt und verehrt. Er genießt nicht nur das Vertrauen des Pharao und seiner Gemahlin. Auch die Menschen achten ihn und leben nach seinem Rat. Er …«
    Simon riss die Augen auf. »Das ist einer eurer höchsten Priester?«, fragte er verblüfft und starrte ungläubig auf diesen merkwürdigen Zwerg. Alle Bilder Altägyptens, die er jemals gesehen hatte, schossen ihm durch den Kopf. All diese anmutigen Gestalten, hoch gewachsen, in prunkvollen Gewändern, mit stolzen Gesichtern und erhabener Körperhaltung, erschienen vor seinem geistigen Auge. All diese Darstellungenhatten nichts mit diesem Wesen gemeinsam, auf das er gerade blickte.
    »Du darfst die Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen«, entgegnete Neferti, als habe sie seine Gedanken erraten. »Du schaust gerade auf einen der mächtigsten und einflussreichsten Männer Ägyptens. Von diesem Versteck hier wissen nur er und wir beide. Es würde ihn sein Leben kosten, wenn er entdeckt würde. Deshalb ist er misstrauisch. Bitte geh!«
    Simon nickte grüblerisch, dann strich er Neferti zärtlich über die Wange. »Ich weiß ja nicht, was du vorhast«, sagte er. »Aber ich hoffe, du weißt, was du tust.« Damit drehte er sich um und stieg die enge Treppe wieder hinauf.
    »Ihr müsst mich anhören«, hörte er Neferti noch sagen. Und er hoffte noch einmal inständig, dass sie wusste, was sie da tat.
     
    »Au!«
    Tom war es wirklich peinlich, dass er vor Schmerzen aufschrie. Er hätte sich natürlich gern viel männlicher und härter vor Nin-Si gezeigt. Aber Simons Mutter drehte und drückte an seinem Knöchel herum, dass Tom gar nicht anders konnte, als aufzuschreien.
    Allerdings war sich Tom ohnehin nicht sicher, ob Nin-Si ihn überhaupt beachtete. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Wohnung und all den Dingen darin, die ihr so völlig fremd waren. Sie wagte es auch nicht, eines davon zu berühren. All diese Geräte, Möbel, Lampen erfüllten sie viel zu sehr mit Ehrfurcht.
    Endlich ließ Jessica von Toms Fuß ab. »Ich bin mir sicher, dass er nicht gebrochen ist. Ich vermute, dass du dir eine Zerrungzugezogen hast. So etwas kann schmerzhafter sein als ein Knochenbruch. Das kann selbst einen Indianer zum Heulen bringen.«
    Tom blickte schnell auf Nin-Si, um sich zu vergewissern, dass sie wenigstens diesen Satz gehört hatte. Doch das Mädchen war noch immer damit beschäftigt, die ganze Einrichtung zu begutachten.
    Mit einem Seufzer wandte sich Jessica wieder Tom zu: »Und ihr habt ganz bestimmt kein Lebenszeichen von Christian?«
    Tom machte ein bedauerndes Gesicht. »Ich hätte es dir gesagt. Glaub’s mir.«
    »Wenn ich doch nur etwas tun könnte«, brachte sie mit zittriger Stimme hervor. »Diese Warterei bringt mich um den Verstand.«
    Tom versuchte, sie zu trösten: »Wenn Simon und Neferti zurück sind, dann werden wir …«
    Der Rest seiner Worte ging in dem plötzlichen Rauschen unter, das von überall vor dem Haus zu ihnen zu dringen schien.
    Hastig sprang Jessica von ihrem Platz auf. »Sie kommen schon wieder!«, schrie sie Tom und Nin-Si zu, dann rannte sie zur Haustür. Das Geräusch verstärkte sich noch, als sie die Tür aufriss.
    Nin-Si half Tom zur Tür. Zusammen mit Jessica blickten sie erschüttert auf die Unzahl an Krähen, die gerade über das Haus flogen. Wie zuvor raubten sie der Stadt unter ihnen das Sonnenlicht.
    »Sie fliegen zur Klippe«, rief Tom über das Getöse hinweg.
    Und Jessica nickte. Das hatte sie sich bereits gedacht. Doch dieses Mal würde sie nicht einfach nur zusehen. »Da geht dochetwas vor«, sagte sie, als der Lärm der Krähen sich etwas

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