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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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steckte in einem prunkvollen Kostüm.
    Rund um diese Statue waren fein säuberlich Hieroglyphen angebracht, die nicht zu dem Wirrwarr an Zeichen passen wollten, die sonst überall zu sehen waren. Und auf dem Boden, zu ihren Füßen, lag ein dickes, aufgeschlagenes Buch.
    Mitten in diesem Raum stand ein Mann, wie Simon bisher noch nie einen Menschen gesehen hatte. Sein Alter war nicht einzuschätzen. Das Gesicht war mit Falten übersät, und doch hatte seine Haut eine frische Farbe. Der Kopf schien kahl geschoren zu sein, zumindest schauten unter dem zu kurzen Tuch, das er sich um den Kopf gebunden hatte, keine Haare heraus. Am linken Oberarm trug er einen goldenen Armreif, auf dem ein roter Skarabäus befestigt war. Dieses Schmuckstück war sicher wertvoll, dachte Simon. Doch er bezweifelte, dass dieser Mann reich war, denn er trug lediglich ein dünnes Tuch, das um die Hüften gebunden war, und hatte nur eine einzige Sandale an. Der andere Fuß war nackt.
    Der Mann stand leicht nach vorn gebeugt in seinem Raum und stützte sich mit beiden Händen an dem großen Holztisch ab, gerade so, als würde er gleich vor Erschöpfung zusammenbrechen, doch gleichzeitig blickten seine Augen wach und funkelnd dem überraschenden Besuch entgegen.
    »Neferti«, rief er aus, und sein Gesicht hellte sich so sehr auf, dass seine Falten für wenige Sekunden zu verschwinden schienen.Gleichzeitig entblößte er dabei sein Gebiss, und Simon vermutete, dass ihm mindestens die Hälfte seiner Zähne fehlen musste.
    Neferti verbeugte sich tief vor ihm. »Sei gegrüßt.«
    »Du warst lange nicht mehr hier«, gab er freundlich zur Antwort, während er seine begonnene Arbeit fortsetzte. Er hob eine dampfende Schale vom Tisch, trug sie zur Statue der Katzengöttin und legte sie ihr zu Füßen, während er andächtig etwas vor sich hin murmelte. Simon war sicher, dass der fremdartige Geruch, der den Raum erfüllte und den er auch schon auf der Treppe wahrgenommen hatte, von den Kräutern stammte, die in der Schale verbrannt wurden.
    Der Ägypter erhob sich, und noch bevor er sich wieder seinem Besuch zugewandt hatte, war alle Andacht aus seinem Gesicht verschwunden, und er lächelte erneut über das ganze Gesicht.
    Beim Anblick seines breit lächelnden Mundes war sich Simon sicher, dass dem Mann mehr als die Hälfte der Zähne fehlen musste.
    Neferti verbeugte sich noch einmal tief, und Simon fühlte sich verpflichtet, ebenfalls den Kopf zu senken. »Ich hatte keine Gelegenheit, dich aufzusuchen«, entschuldigte sich Neferti. »Im Palast sind große Dinge im Gang. Ich …«
    Der Mann winkte ab. »Davon habe ich gehört. Seid wachsam! Der Hass der Priester auf unseren Pharao wächst. Echnaton befindet sich in schlechter Gesellschaft. Mich würde nicht wundern, wenn eines Tages … wenn …« Jetzt erst nahm er Simon richtig wahr. »Wen hast du mir mitgebracht?«, fragte er, und seine Augen musterten Simon interessiert und neugierig.
    »Einen Freund«, sagte Neferti mit Stolz, und sie fügte hinzu: »Einen ganz besonderen Freund.«
    »Freund?«, wiederholte der Mann. Er kam hinter seinem Tisch hervor und trat auf Simon zu. Seine Blicke musterten den Jungen weiterhin von Kopf bis Fuß. »Einen Freund«, murmelte er gedankenverloren.
    Simon wurde unsicher. Er wusste nicht, wohin er schauen sollte. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Dieser merkwürdige Mensch kam immer näher, und Simon hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Warum hatte Neferti ihn denn nicht vorbereitet?
    Der Mann stellte sich ihm so dicht gegenüber, dass Simon seinen Atem riechen konnte. Und den Körpergeruch. Simon drehte sich der Magen um. Es kostete ihn viel Selbstüberwindung, nicht augenblicklich davonzulaufen.
    »Freund«, wiederholte der Mann ein weiteres Mal, und eine Wolke seines Atems legte sich wie ein unsichtbarer Mantel um Simon und ließ ihn schwindelig werden.
    »Er ist nicht von hier«, stellte der Ägypter fest, und Simon beschloss, einfach den Atem anzuhalten und abzuwarten.
    »Nein«, gab Neferti ihm recht. »Er kommt von sehr weit her.«
    Der Mann nickte. »Von sehr weit. Ich verstehe.«
    Er drehte sich zu ihr um, und Simon war glücklich, wieder einatmen zu können.
    »Schick ihn weg!«
    Neferti schaute ihr Gegenüber entgeistert an. »Wegschicken?«
    »Er gehört nicht hierher.« Der Priester stellte sich wieder an seinen Tisch und stützte sich mit den Händen auf. »Du kommstsicherlich mit einer Bitte zu mir. Und ich werde dir gewähren,

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