Schattengrund
an. Genau dort, wo dieses Gefühl sich eingenistet hatte, das man nur mit Schnaps verbrennen konnte. Es würde wiederkommen. Aber es gab ja noch genug Flaschen im Haus.
Im Wohnzimmer lief der Vorspann zu einem Heile-Welt-Tralala-meine-Farm-in-Honolulu-Film. Der Bildschirm spiegelte sich im Küchenfenster. Manchmal fragte sie sich, was sie noch hier hielt. Vielleicht die Flaschen.
Zach schnarchte.
Sie hatte alles mitangehört. Sie trank den letzten Schluck Korn und drehte das leere Glas in ihrer Hand. Die kleine Schlampe wollte in den Keller. Sie hatte etwas in Filis Zimmer gefunden. Eine Zeichnung. Ein Bild, das beweisen sollte, dass jemand ihrer Prinzessin wehgetan hatte.
Mühsam schleppte sie sich zum Küchentisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seit die Hexe hier war, schienen alle Wunden wieder aufzureißen. Das Getuschel war wieder losgegangen. Sie hatte die Blicke in ihrem Rücken spüren können. Hatte das Flüstern und Wispern gehört … Es muss doch einen Grund gehabt haben, dass Fili weggelaufen ist … Sie war schon immer so mager und still … Was treibt sie nachts auf den Berg … Warum ist Kianas Brut wieder da … Was will sie in unserem Dorf … Welche Fragen wird sie uns stellen … Haben wir etwas gewusst … Haben wir nichts gewusst … Wollten wir alle nichts wissen …
Sie biss sich in die Hand, um nicht laut aufzuschreien. Nebenan schlief und stank Zach. Hatte es je bessere Tage gegeben? Tage, an denen sie gelacht hatten und glücklich gewesen waren? Wenn ja, dann waren sie so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte. Der Hass auf ihn und das Leben, das sie führten, war so groß. Aber noch größer war die Angst, etwas zu verändern. Es war keine Liebe. Es war noch nicht einmal Gewohnheit, die sie bleiben ließ. Filis Tod hatte Zach genauso in den Strudel von Vorwürfen und Schmerz hinabgezogen wie sie. Vielleicht war es das, was sie noch verband. Das gemeinsame eisige Schweigen. Und Zita, die über sie wachte und aufpasste, dass keiner mit dem Reden anfing.
Manchmal glaubte Trixi, dass Zita mehr wusste, als sie zugab. Dann wurde der Feuerball in ihrem Bauch zu einem Klumpen Eis. Sie stand auf und holte noch einmal die Flasche aus dem Kühlschrank. Dieses Mal setzte sie sie gleich an die Lippen. Zita wusste es. Nur deshalb durfte die Schlampe in diesem Haus bleiben und herumschnüffeln. Egal, was sie herausfinden würde, Siebenlehen würde hinterher nie mehr so sein wie vorher.
Sie musste es verhindern. Sie musste die Hexe aufhalten. Das Mädchen war zäh. Bis jetzt hatte es allen Anfeindungen getrotzt. Hatte sich in Schattengrund breitgemacht und thronte dort oben wie Kiana, die auch geglaubt hatte, auf alle im Dorf herabsehen zu dürfen. Kiana, die ihr Leben zerstört hatte mit ihren Märchen. Noch nicht einmal nach Filis Tod hatte sie aufgehört damit. Zwölf lange Jahre Gift und Zwist, Hass und Verachtung. Es war genug. Es durfte nicht weitergehen.
Sie musste etwas tun.
Trixi stellte die Flasche zurück. Die Zeit war gekommen, Siebenlehen von den Dämonen zu befreien.
Einunddreißig
Dieser Keller roch anders. Nicht nach Äpfeln, Kartoffeln und altem Holz. Er war feucht und muffig. In den Mauern schien der Geruch von schalem Bier zu kleben. Vielleicht hatten dort früher auch die Abfalltonnen gestanden. Nico hielt sich ihren Schal vor die Nase. Je tiefer sie hinunterstieg, desto dumpfer und abgestandener wurde die Luft.
Am Fuß der Treppe befand sich eine Eisentür. Der letzte Anstrich war grau. Viele abgeplatzte und abgeschürfte Stellen verrieten, dass sie ursprünglich einmal ochsenblutrot gewesen war. Nico zog den schweren Generalschlüssel aus der Tasche, aber sie hatte ja gelernt. Erst denken, dann handeln. Was machte sie hier unten?
Es war nicht okay, was sie tat. Ihr Gastrecht war eine äußerst brüchige Vereinbarung, die jederzeit aufgekündigt werden konnte. Einen Schlüssel zu klauen und sich damit Zutritt zu verriegelten Räumen zu verschaffen, lief wohl kaum unter Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen. Soweit die Negativliste. Auf der positiven Seite stand eigentlich nur: Sie wollte hier rein, koste es, was es wolle.
… aber statt Bier liegt da unten mittlerweile alles Mögliche, an das man immer wieder ran muss …
Leons Bemerkung war schuld. Alles Mögliche. Nico glaubte nicht, dass Zach und Trixi die Buchhaltung der letzten Jahre in ihrer Wohnung aufbewahrten. Ehrlich gesagt hatte sie nicht das Gefühl, die beiden würden noch
Weitere Kostenlose Bücher