Schattenhaus
Anblick einmal gute Laune bereitet hatte. Sarnau ließ sich wieder an seinem leeren Schreibtisch nieder. Durch die Tür zum Foyer hörte er, wie seine Sekretärin mit einem älteren Ehepaar über die Gebühr für eine Erstberatung feilschte. Unlukrative Zufallskundschaft. Seine Kanzlei lag in einem der Jugendstil-Gründerzeithäuser am Bahnhofsvorplatz, die als einzige in Frankfurt einen leisen Hauch von Paris verströmten. Seit einem Jahr saß Hendrik von Sarnau jetzt hier in einer stylish ausgestatteten Anwaltspraxis und wartete auf Klienten, die meisten Tage vergeblich. Der Gründungskredit der Bank war bald dahin, und allmählich ließ sogar sein stahlhartes Selbstvertrauen ersten Schwund erkennen.
Die Sekretärin klopfte und trat ein. Sie war attraktiv, doch auch das bereitete Sarnau keine Freude mehr. «Herr von Sarnau? Ich soll fragen, ob Sie eine Viertelstunde Erstberatung für zwanzig Euro machen würden?»
«Für fünfundzwanzig können die Herrschaften kurz reinkommen.»
Ein kleingewachsenes, hausbackenes, knackbraun gesonntes Paar um die sechzig betrat sein Büro. Die Frau war die Wortführerin. Man wolle das Geld für einen Urlaub «in DomRep» zurück und noch 1000 Euro Schadenersatz dazu, verkündete sie. Es sei nämlich Schimmel in der Dusche gewesen, der Strand total verdreckt, und ihr Mann habe sich «dank dem schlechten Essen was am Magen geholt». Hendrik von Sarnau stellte ein paar Rückfragen, erfuhr, dass der zweiwöchige Urlaub inklusive Flug 498 Euro pro Nase gekostet hatte, das Hotel nur zwei Sterne besaß und man außerdem vor Ort nicht reklamiert hatte. «Mir habben abbä Fottos gemacht von allem.» Es wurde ein Foto auf dem Handy präsentiert, auf dem mit viel Phantasie ein schwarzer Schimmelrand auf einer Duschfuge zu erkennen war sowie ein Strandabschnitt, auf dem verbeulte Getränkedosen herumrollten. Hier und da war ein Ästchen im Sand zu sehen, gewiss herabgefallen von den Palmen, die den Strand säumten. Die Leute konnten allerhöchstens mit einer minimalen Kulanzrückerstattung rechnen, so viel war klar. Aber Hendrik von Sarnau war nicht so dumm, den Klienten das zu sagen. Dann bliebe es ja bei der Erstberatung. Und die lohnte sich in diesem Fall am allerwenigsten.
Hendrik von Sarnau war aufgewachsen mit der Sicherheit, dass sein Name und sein Auftreten ihm stets alle Türen öffnen würden. Über seine nur durchschnittliche Note im ersten Jura-Staatsexamen hatte er die Schultern gezuckt, zuversichtlich, es beim zweiten Staatsexamen besser zu machen. Doch da lief nichts wie geplant. In einer Hausklausur hatte er ohne schlechtes Gewissen (so arbeitete man heute eben) aus dem Internet kopierte Textschnipsel verwendet und damit die pedantische Prüferin verärgert. In der zweiten hatte er die juristische Krux des Problems übersehen. In der dritten lief es besser, doch der Prüfer war einer, der ihn persönlich nicht leiden konnte. Im Mündlichen, einer lachhaften Gruppenprüfung, wurden ihm dann seine äußerst mäßigen Vornoten zum Verhängnis. Am Ende stand nur ein schwaches Ausreichend, durchschnittlich für Juristen, aber weit entfernt von dem Prädikatsexamen, auf das die Edelkanzleien bei ihren Bewerbern so erpicht waren.
Ein «Befriedigend» hätten Hendrik von Sarnaus Name und Persönlichkeit vielleicht überstrahlen können. Ein schwaches «Ausreichend» aber offenbar nicht. Auf seine vierzig Bewerbungen bei den Großen hatte er nicht ein einziges Mal auch nur eine Einladung erhalten. Nicht einmal persönliche Vorsprache half.
Das alles aber verunsicherte Sarnau noch immer nicht. Im Gegenteil. In der Tiefe seines Herzens war sein Ziel sowieso immer die Selbständigkeit gewesen. Eine eigene Kanzlei. Zwar hatte er davon gehört, dass es eine Anwälteschwemme gebe. Zu viele junge Anwälte drängten auf den Markt und nahmen sich gegenseitig die Butter vom Brot. Er allerdings besaß erstens Kapital, und zweitens hieß er eben nicht Jens Müller oder Katrin Schmidt. Auch die Bank ließ sich leicht von seinen guten Chancen überzeugen und spendierte einen Gründungskredit. Hendrik konnte sich daher an einer zentralen Adresse einmieten, wo täglich viele wohlsituierte Passanten auf dem Weg vom Bahnhof zum Bankenviertel vorüberkamen. Ein Erfolgsrezept, glaubte er. Zur Sicherheit schaltete er außerdem eine Anzeige in den gelben Seiten. Wo sein adeliger Name neben anderen prangte, glaubte er, würden die Leute sich eher an ihn als an die anderen wenden. Doch nachdem die
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