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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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kommt sie gleich wieder. Du, Andrea? Willst du meine neue Mami werden? Kannst du mich abholen? Du musst nur sagen –»
    In dem Moment war die gestresste Studentin wieder da und entriss dem Kind den Hörer. «Hallo, sind Sie das wieder? Dacht ich’s mir doch. Die nervt mich hier bis aufs Blut. Sorry, tschüs.»
    Nun blieb das Telefon still. Andrea saß auch ganz still. Nach und nach reifte der Gedanke, dass hier etwas grundlegend nicht stimmte. Dieses Kind war kein fröhlicher Frechdachs. Sondern das Mädchen musste verzweifelt sein, um zu solchen Mitteln zu greifen. Wurde es von den wirklichen Eltern misshandelt?
    Andrea wollte zurückrufen. Doch irgendwie musste sie sich verdrückt haben. Der Rückruf über die Taste funktionierte nicht. Und die Nummer war als unbekannt hereingekommen.

[zur Inhaltsübersicht]
Letzte Juliwoche
    M ahdere Grafton, oder Lady Grafton, wie sie oft nicht ganz korrekt genannt wurde, schloss die Tür ihres Hauses auf. Sie war Anfang fünfzig, Architektin, die Tochter eines äthiopischen Politikers. In ihrer Jugend hatte sie in Deutschland studiert, doch ihren Mann, Professor Grafton, Viscount of Blaby, hatte sie erst kennengelernt, als dieser Jahre später wegen einer Grabungslizenz bei der äthiopischen Regierung Klinken putzen ging.
    Als Frau Grafton das Haus betrat, eine alte Villa im Kettenhofweg, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Zuerst fiel ihr auf, dass es zog. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses musste ein Fenster offen stehen. Dann bemerkte sie das Geräusch. Ganz leise, ganz langsam tropfte es irgendwo.
    «Frau Tamm?», rief sie, während sie Ihre Tasche ablegte. «Frau Tamm?»
    Heute war einer der Tage, an denen die Haushaltshilfe da war.
    Keine Antwort.
    «Bertie?»
    So nannte sie ihren Mann. Doch der musste eigentlich noch in der Uni sein.
    Dann hörte sie ein neues, entsetzliches Geräusch: ein fernes, glucksendes Röcheln.
    Mit weichen Knien ging Frau Grafton ein paar Schritte vorwärts, schob die klemmende halboffene Tür, die die kleine Eingangsdiele mit Garderobe und Gästeklo von dem repräsentativen Vestibül trennte, vollständig auf. Die Arbeitszimmertür war geöffnet. Von dort kam der Zug. Dann fiel ihr Blick nach rechts zum Aufgang. Sie hielt einen Augenblick die Luft an. Da lag jemand ausgestreckt auf der Treppe, so als ob er kopfüber gefallen sei. Ein schmaler, jüngerer Mann. Nicht Bertie. Das Gesicht war auf unnatürliche Weise zur Seite gekippt, die offenen Augen verdreht und der Mund aufgerissen. Aus dem Mund hatte sich Blut ergossen und auf der Treppenstufe eine kleine Lache gebildet. Das Blut löste sich in einzelnen Tropfen und fiel mit leisem Tropfgeräusch auf die nächsttiefere Stufe.
    Frau Grafton zog sich nach einer Schrecksekunde reflexartig in die kleine Eingangsdiele zurück und wühlte mit zitternden Händen in der dort abgestellten Tasche nach ihrem Mobiltelefon. Sie war keine Florence Nightingale. Sie konnte dem Verletzten sowieso nicht helfen. Der Mann brauchte einen Arzt, keinen Erste-Hilfe-Pfusch von Laien. Im Internet suchte und fand sie schnell die deutsche Notrufnummer, die ihr vor Aufregung nicht einfiel, obwohl sie ein paarmal davon gehört hatte.
    Sie kam sofort durch, und ihr wurden eine Reihe von Fragen gestellt. Als sie wieder auflegte, war sie schweißgebadet. Statt nach dem Verletzten zu sehen, rief sie panisch die Nummer ihres Mannes in der Uni an. Gott sei Dank, er meldete sich sofort. Sie war zutiefst erleichtert, irgendwie hatte sie noch immer die Befürchtung gehabt, dass Bertie etwas passiert sein könnte. Ihr Mann hörte sich ihren wirren Bericht an, sagte, er habe keine Ahnung, um wen es sich bei dem Verletzten handele, wollte wissen, ob Frau Tamm, die Haushaltshilfe, noch da sei, was Mahdere verneinte, und er empfahl ihr, sie solle doch zur Sicherheit vor dem Haus auf den Notarzt warten. Sie solle JETZT SOFORT mit dem Telefon in der Hand vor die Tür gehen. Was sie auch tat – je weiter sie von dem armen röchelnden Halbtoten entfernt war, desto wohler fühlte sie sich. Draußen auf dem zugeparkten Bürgersteig hörte sie von der Senckenberganlage schon die Blaulichtsirenen. «Ich sage die Vorlesung ab und komme gleich», versprach ihr Mann.
    Als kurz darauf der Notarztwagen im Kettenhofweg hielt, im selben Moment, als ein Gewitterregen einsetzte, da war Mahdere Grafton ganz ruhig und gefasst. «Hier entlang», wies sie den Weg.
    Im Vestibül blieb Frau Grafton in einiger Entfernung zu der Gruppe von

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