Schattenhaus
große Büro, wo hinterm Schreibtisch repräsentativ ein abstraktes Ölbild prangte, so, dass es der Besucher sehen konnte, nicht aber Fock von seinem Arbeitsplatz aus. Fock setzte sich und schob sich die rote Fliege zurecht. «Also? Ich höre?»
Winter setzte sich ebenfalls. Da Fock offensichtlich von Kettler telefonisch vorinformiert war, sparte er sich lange Erklärungen. «Ich denke, dass wir in diesem Vergiftungsfall ermitteln sollten», sagte er rundheraus. «Die Geschädigte ist immerhin eine Bekannte der ermordeten Sabrina Vogel aus unserem Januarfall. Gerade bei jemandem, der häufig Pilze sammelt, ist es leicht möglich, dass ein anderer gezielt Giftpilze untermischt.»
«Lieber Herr Winter», begann Fock nach einer Kunstpause, die Hände theatralisch zusammengelegt. «Haben Sie schon mal von der Binsenweisheit gehört, dass über sechs Ecken jeder auf der Welt jeden kennt? Es ist doch gar nichts Ungewöhnliches, wenn eine Person zufällig mit dieser Sabrina Vogel bekannt ist. Die tote Frau Vogel kannte Tausende von Leuten. Die Staatsanwaltschaft kann doch nicht jedes Mal, wenn sich jemand von denen in den Finger schneidet, ein Ermittlungsverfahren beginnen!»
«Sabrina Vogel kannte mitnichten Tausende von Leuten. Im Gegenteil, die hatte einen sehr kleinen Bekanntenkreis. Und –»
«Winter, jetzt hören Sie doch auf! Sie haben sich da in was verrannt. Sie haben eine Obsession mit diesem Vogel-Fall, dabei ist der längst geklärt. Ich habe mich nur freundlicherweise bislang einer Abmahnung enthalten. Aber ich weiß sehr wohl, dass Sie an Ihrem Rechner immer wieder irgendwelche Suchanfragen machen, die mit dem Fall Vogel zusammenhängen, obwohl ich Ihnen jede weitere Ermittlung in dem Fall ausdrücklich verboten habe.»
Winter traf fast der Schlag. Kettler schnüffelte nicht nur an seinem Rechner herum, sondern trug das auch noch an Fock weiter?
«Ermittlungen hab ich keine mehr gemacht», verteidigte er sich. «Ich habe mir lediglich mal in einer freien Minute oder zum Essen einen Zeitungsartikel zu dem Doppelmord angesehen. Aber Entschuldigung, Herr Fock, woher wissen Sie denn das?»
«Ja, Gott, wenn Kollegen Ihren Rechner benutzen, sieht man das doch, da gibt es doch irgendwas, woran man erkennt, welche Internetseiten aufgerufen wurden.»
«Den Browser-Verlauf. Sie haben einem Kollegen aufgetragen, bei mir auf dem Rechner im Verlauf zu schnüffeln?»
«Also bitte, Herr Winter, jetzt haben Sie sich mal nicht so. Ich habe überhaupt niemandem was aufgetragen, das kam zufällig raus. Und Ihr Rechner ist nicht Ihrer, sondern gehört dem Präsidium, und nichts, was Sie darauf treiben, ist privat. So, und jetzt zum allerletzten Mal: Der Fall Vogel ist abgeschlossen, und wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie versuchen, irgendwas herauszufinden, um der Staatsanwaltschaft den Prozess zu vermasseln, dann gibt es eine Abmahnung. Sie hängen da völlig irrealen Hirngespinsten nach, und das alles nur aus Eifersucht auf Sven Kettler. Glauben Sie nicht, dass ich nicht weiß, was Sie antreibt.»
Winter schwieg ein paar Sekunden, aufgewühlt und kurz vor einer Explosion, dann fiel ihm zum Glück eine akzeptable Replik ein:
«Nein, Chef. Mich treibt hauptsächlich der Wunsch nach Aufklärung von Verbrechen an. Ich dachte, das sei hier mein Job. Und den mache ich seit fünfzehn Jahren ziemlich gut.»
Dann verabschiedete er sich und ging.
Irgendwie schien er die richtigen Worte getroffen zu haben. Als er schon draußen auf dem Flur war, hörte er Fock mit unterdrückter Stimme rufen: «Winter! Herr Winter! Nun warten Sie doch mal.» Winter blieb stehen, gespannt, was da kommen mochte. Fock hatte einen merkwürdigen, verschmitzt-vertraulichen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Als er Winter erreichte, legte er ihm gönnerhaft die Hand auf den Rücken. «Nun denken Sie bloß nicht, ich wüsste Ihre Qualitäten nicht zu schätzen. Ich weiß ja, dass Sie ein bewährter Mann sind, und will Sie auch nicht verlieren. Nun will ich Ihnen mal erzählen, was ich neulich so nebenbei für Sie getan habe, ohne es an die große Glocke zu hängen. Wir hatten ja im K 11 wieder eine Ermittlerstelle frei, und da hatte sich doch Ihre besondere Freundin, diese Türkin vom KDD , beworben. Ich hätte sie ja am liebsten nicht genommen, aber wie das so ist heutzutage, sie hatte durchgehend Eins-a-Evaluationen, mit wem auch immer sie dafür auf dem Sofa gelegen hat, und noch Bestnoten im Examen. Die Dame ist offensichtlich mit
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