Schattenhaus
mich. Leben auf großem Fuß, die arrogante Grundhaltung, ich weiß nicht richtig, wie ich das erklären soll.»
«Haben Sie Schulden? Wenn Sie von Leben auf großem Fuß sprechen?»
«Sie sind verdammt aufmerksam. Nein, nicht mehr. Aber kurz vor dem ersten Staatsexamen hatte ich meine ganze Ausbildungsversicherung auf den Kopf gehauen, und das Konto war mit fast zehntausend in den Miesen. Das habe ich durch Jobben selbst wieder reingeholt. Keine Verbraucherinsolvenz oder so. Hat mich ein Jahr gekostet.»
«Kannte Hendrik von Sarnau Verena Tamm?»
«Wahrscheinlich nicht. Wir haben nie über sie geredet. Als er damals auf unsere Schule kam, war sie schon abgegangen.»
«Aber Sabrina Vogel kannte er?»
«Sie meinen Sabrina Pfister? Ja, natürlich. Wir waren ja in derselben Stufe. Ich war mit Sabrina sogar in derselben Klasse. Hendrik allerdings nicht, der kam erst in der Oberstufe auf unsere Schule. Sabrina war verknallt in ihn und ist, glaube ich, wegen ihm nach Frankfurt gegangen. Im ersten Studienjahr erzählte Hendrik immer noch, sie würde ihn belästigen. Aber so ab dem dritten Semester war Funkstille. Und irgendwann schickte sie ihm eine Hochzeitsanzeige.»
Jetzt mischte sich Aksoy ein.
«In Allmenrod», begann sie, «gibt es eine Menge Gerüchte über den Tod von Verena Tamm. Unter anderem wird gemunkelt, dass der Mord an Frau Tamm mit dem Tod von Sabrina Vogel oder Pfister im Januar zusammenhängen soll. Von Rache wird geredet. Können Sie uns dazu was sagen?»
Der angehende Richter seufzte, zog eine Grimasse und nahm kurz die Hände zum Kopf, als wolle er sich die Haare raufen. «Also wissen Sie, ich bin in Lauterbach aufgewachsen, wie übrigens auch schon mein Vater, und ich hab eigentlich mit der buckligen Verwandtschaft in Allmenrod nichts zu tun. Ich finde das alles befremdlich, diese Dorffehden, um die es da wohl geht. Aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass das irgendetwas mit diesen schrecklichen Morden zu tun hat. Dafür reicht meine Phantasie nicht aus.»
«Dann erzählen Sie uns doch einfach, was Sie über diese alten Familienfehden und die Gerüchte wissen», forderte Aksoy ihn auf. «Wir würden es interessant finden, mal eine Außenperspektive zu hören.»
Winter warf einen erstaunten Seitenblick auf Aksoy. Das war schon wieder eine trickreichere Formulierung, als er ihr zugetraut hätte. Sie suggerierte Hanno Krombach, der Rest der Familie habe schon geredet. Dabei hatten die Allmenröder Krombachs gestern kollektiv geschwiegen wie ein ganzes Mausoleum.
Der Jungrichter lehnte sich zurück und rieb sich kurz die Augen, dann begann er zu erzählen. «Die ganze Geschichte fing wohl damit an, dass sich mein Großonkel Heiner mit dem alten Pfister, sprich mit dem Vater der Sabrina, in der Jugend auf irgendeinem Schützenfest zerstritten hat. Angeblich hat der Pfister ihm mit Tricksereien den Titel als Schützenkönig weggeschnappt, fragen Sie mich nicht nach Details, ich hab das nie verstanden. Der Heiner hatte dann später dank seinem gutgehenden großen Hof die feschste Frau aus dem Nachbardorf abbekommen. Die Tante Rosemarie war aber kein Kind von Traurigkeit, und der Heiner war ihr wohl zu dröge. Jedenfalls hat sie sich irgendwann, als sie schon ihre Kinder hatte und im gesetzten Alter war, mit dem unverheirateten Pfister eingelassen und jahrelang mit dem die Sause gemacht. Der Heiner hat es hingenommen, weil die Alternative eine Scheidung gewesen wäre, und ihm war wohl eine halbe Rosemarie lieber als gar keine. Eines Tages hat dann der Pfister die Rosemarie mit dem Motorrad irgendwohin mitgenommen und einen Unfall gebaut. Er hat überlebt, aber sie war tot. Und dann hat er es auch noch gewagt, ihr Andenken nicht zu ehren und eine andere zu heiraten, kaum dass Rosemarie unter der Erde war. Seitdem gilt der Pfister in der Familie als das personifizierte Böse. Diejenige, die er dann geheiratet hat, war die Mutter von Sabrina Pfister, namens Gunhild. Die Gunhild war da so um die vierzig, sprich zehn Jahre jünger als Rosemarie, und das erste Kind kam angeblich auch noch weniger als neun Monate nach der Hochzeit. Phasenweise ging dann das Gerücht, die Gunhild hätte auf dem Weg irgendwo einen Draht gespannt und absichtlich den Motorradunfall herbeigeführt. Oder der Pfister habe die Rosemarie umgebracht und den Unfall nur vorgetäuscht, weil er die Rosemarie aus dem Weg haben wollte, um die Gunhild zu heiraten. Totaler Bullshit alles, wenn Sie mich fragen. Die Familie
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