Schattenherz
gegen dieses
Ungeheuer zu kämpfen. Sie wagte zu hoffen, ihn in seiner Kammer zu finden.
So rannte sie in den Keller hinunter, stellte fest, daß der Topf mit Eisenkraut noch immer köchelte und in der Feuerstelle noch einige Kohlen glommen. Iome warf die Tür zu und suchte nach einer Möglichkeit, sie zu verriegeln. Aber die besaß nicht einmal eine Klinke.
Sie durchsuchte Binnesmans Kammer nach irgend etwas, mit dem sich die Tür versperren ließe. Unter den Sehersteinen gab es verschiedene größere Steine, zu groß, um sie allein fortzurollen.
»Versteck dich!« brüllte Gaborn in ihrem Kopf. »Er hat es auf dich abgesehen!«
Binnesman besaß nicht einmal ein Bett, unter dem man sich hätte verstecken können – nur den Haufen Erde in der Ecke.
Myrrima wachte mit dem Gesicht nach unten im Burggraben auf. Sie schmeckte kaltes Wasser und Algen.
Jeder Muskel schmerzte pochend. Vage erinnerte sie sich an ihren Sturz vom Pferd und war überzeugt, sich beim Aufprall die Knochen gebrochen zu haben, dann drehte sie sich im Wasser herum. Über ihr war alles schwarz.
Ihr Pferd warf sich ganz in der Nähe schreiend im
Burggraben hin und her. Die Wellen seines Todeskampfes ließen Myrrima auf der Wasseroberfläche tanzen wie ein Stück Korkeiche.
Das ist das Ende, dachte sie benommen. Sie trieb im tiefen Wasser, das kalt war wie das Eis des Winters und ebenso betäubend. Sie fühlte sich sehr schwach.
Bewegen konnte sie sich nicht. Vergebens versuchte sie, eine Hand zu heben und zu schwimmen – irgendwohin, zum Ufer, zur Burgmauer. In dieser Dunkelheit war kein Ziel zu erkennen.
Über sich spürte sie den Wind, den Sog der riesigen Flügel eines Wesens, das über ihr in der Luft zu stehen schien.
Es spielte keine Rolle, wohin sie sich wandte, wenn sie Silur schwamm.
Doch sie mühte sich, nur währenddessen fühlte sie, wie sie unterging.
Es spielt keine Rolle, dachte sie. Es spielt keine Rolle, ob ich heute sterbe, ob ich mich heute zu den Geistern des Dunnwaldes geselle.
Durch ihren Tod würde Myrrima ihre Gaben verlieren. Ihre Mutter würde ihre Geisteskraft zurückerlangen. Sie würden sich abrackern und sparsam leben in ihrem kleinen Häuschen außerhalb von Bannisferre, und vielleicht wären sie glücklich.
Es spielte keine Rolle, wenn Myrrima starb.
Sie mühte sich ab und spürte, wie sie aus Regionen der Finsternis in die vollkommene Dunkelheit des Burggrabens hinabschwebte.
Ein riesiger Stör schwamm neben ihr, streifte ihre Hand und flitzte peitschenschnell durchs Wasser davon. Sie spürte den Sog seiner Bewegung.
Dumpf, den Verstand vollkommen leer, spürte sie, wie er sich entfernte und einen Augenblick später wiederkam. Er umschwamm sie träge in einem seltsamen Muster, einem geheimen Tanz.
»Hallo«, formte Myrrima Worte mit dem Mund. »Ich sterbe.«
Sie schloß die Augen und verharrte eine ganze Weile in dieser Stellung, ließ sich vom Wasser betäuben. Das eiskalte Naß umschmeichelte ihre Muskeln, zog ihr sogar die Schmerzen aus den Knochen.
Hier ist es wunderschön, dachte sie. Wenn ich doch nur zum Abendessen bleiben könnte.
Sie merkte, wie sie einen Augenblick dahindämmerte, und fuhr erschrocken hoch.
Mittlerweile gab es wieder ein wenig Licht, genug, um etwas zu erkennen. Sie lag auf dem schlammigen Grund des Burggrabens.
Ein Stör schwebte durch das Wasser, näherte sich ihr, blieb dann reglos stehen und musterte sie aus einem Auge in der Farbe von gehämmertem Silber. Der riesige Stör, länger als sie selbst, tat nichts weiter als seine knochigen Lippen zu öffnen, deren Fühler wie ein Schnauzbart herabhingen, öffnete und schloß seinen Mund ein winziges Stück mit jeder Bewegung der Kiemen.
Sie war überrascht, daß sie noch lebte. Ihr Verstand wurde klarer, und ihre Lungen erwarteten sehnsüchtig den nächsten Atemzug. Zwei weitere große Störe schossen im Zustand höchster Erregung an ihr vorbei und wirbelten in einem wilden Tanz umher.
Ihr fielen die Runen ein, die sie gezeichnet hatten.
Schutz, Heilkraft. Immer wieder, tagelang. Schutz, Heilkraft.
Die Wasserzauberer waren mächtig.
Mit der Erkenntnis, daß sie überleben würde, begann Myrrima, sich plötzlich um die anderen zu sorgen. Sie schaute vom Grund des Burggrabens nach oben. Die Wasseroberfläche befand sich dreißig Fuß über ihr. Nach wie vor bedeckte Dunkelheit den halben Himmel.
Sie drückte ihre Zehen in den Schlick, spürte Süßwas-sermuscheln unter ihren Füßen, tauchte auf und
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