Schattenherz
leicht schräg, die rechte Hand über dem Kopf, die Beine ausgebreitet. Der Aufprall auf dem weichen Untergrund hatte eine solche Wucht gehabt, daß ihr Körper jetzt in einer flachen Mulde lag.
Averan konnte keine äußeren Anzeichen für gebrochene Knochen entdecken. Nichts hatte sich durch die Haut der grünen Frau gebohrt. Und doch sah sie, verschmiert über der linken Brust der Frau, Blut, so dunkel, grün und ölig, daß es beinahe schwarz wirkte.
Averan hatte nicht oft eine nackte Frau gesehen – und noch nie eine wie diese. Sie war nicht nur hübsch, sie war wunderschön, nicht von dieser Welt, wie die Dame eines eleganten Runenlords, mit so vielen Runen der Anmut bedacht, daß eine gewöhnliche Frau beim Anblick eines solchen Geschöpfes bestenfalls verzweifeln konnte.
Doch selbst mit ihren perfekten Gesichtszügen und ihrer makellosen Haut war die grüne Frau ganz offenkundig kein menschliches Wesen. Ihre langen Finger endeten in Krallen, die scharf wie Angelhaken aussahen. In ihrem leicht geöffneten Mund, aus dem grünliches Blut sickerte, waren Eckzähne zu erkennen, länger als die eines Bären. Mit ihren Ohren… stimmte etwas nicht. Sie waren zierlich und anmutig, aber ein wenig nach vorn geneigt, wie bei einem Reh.
Die grüne Frau atmete nicht.
Averan legte der Frau den Kopf auf die Brust und lauschte auf ihren Herzschlag. Sie hörte ihn leise schlagen, als läge die Frau in tiefem Schlummer.
Averan tastete Arme und Beine der grünen Frau ab und suchte nach Verletzungen. Sie wischte in Halsnähe ein wenig grünes Blut fort und entdeckte etwas, das wie eine Stichwunde von ihren eigenen Fingernägeln aussah. Sie wischte der Frau das Blut von den Lippen und sah in ihrem Mund nach.
Sie hatte sich beim Sturz auf die Zunge gebissen, die stark blutete. Averan drehte den Kopf der Frau zur Seite, da sie befürchtete, das Blut könne sie ersticken.
Die grüne Frau gab ein tiefes, kehliges Knurren von sich, wie ein Hund, den man in seinen Träumen von der Jagd stört.
Plötzlich sprang Averan zurück. Zum ersten Mal befürchtete sie, die Frau könnte irgendeine Art Tier sein. Wild. Tödlich.
Ein Hund fing an zu bellen.
Averan hob den Kopf.
Sie befand sich am Rande eines Bauernhofes. Nicht weit entfernt stand eine Kate, eine Hütte aus Feldsteinen mit einem Dach aus Binsen. An einem Bretterzaun bellte ein wütender Wolfshund, der sich aber nicht in die Nähe des Graaks traute.
Dieser wiederum betrachtete den Hund bloß hungrig, so als hoffe er auf einen Angriff.
Die grüne Frau öffnete ihre Augen zu Schlitzen und griff nach Averans Kehle.
Das Mädchen unterdrückte einen Schrei.
KAPITEL 9
Die Rettung
R
oland und Baron Poll waren den ganzen Tag über forsch geritten, in einem Tempo, das ein normales Pferd nicht überstanden hätte, als sie das Knurren und Jaulen eines Hundes hörten, begleitet vom Schreien eines Kindes.
Soeben hatten sie am Fuß der Trostberge ein Dorf umrundet, und Rolands Pferd hatte, außer Atem, eine langsamere Gangart angeschlagen. Der Himmel war bedeckt, und wegen der Nähe der Berge wurden die abendlichen Schatten bereits dunkler.
Als Roland den spitzen Schrei hörte, näherte er sich gerade einem kleinen Bauernhof mit einem Obstgarten aus
Wildbirnen-und Holzapfelbäumen dahinter.
Dort entdeckte er einen Graak, der immer wieder nach einem riesigen Wolfshund schnappte, während im Schatten eines Baumes ein Mädchen vor Entsetzen schrie.
»Bei den Mächten, das ist ein wilder Graak!« rief Baron Poll und gab seinem Streitroß die Sporen. Hier draußen, so nahe bei den Bergen, fielen oft wilde Graaks über die Haustiere von Bauern her. Eher selten fraßen sie jedoch Menschen.
Rolands Herz raste.
Baron Poll griff hinter sich, zog seine Axt heraus und hetzte sein Tier an der Kate vorbei, wobei er ein paar nervöse Jungenten aufscheuchte, die vor der Tür herumliefen. Dann setzte sein Pferd über den Bretterzaun hinweg. Der Hund, durch die Gegenwart des Barons mutig geworden, sprang hinter ihm her und rannte auf den Graak zu.
Plötzlich sprang Rolands Pferd über den Zaun, und Roland wurde bewußt, daß auch er gedankenlos den Graak. angriff.
Er griff nach dem Kurzschwert in seiner Jacke, auch wenn es ihm gegen eine so große Echse nicht viel nützen würde.
In diesem Augenblick schien die gesamte Welt zu
schrumpfen. Weiter hinten im Obstgarten konnte er das Kind schreien hören und sehen, wie sich das riesige Tier aufrichtete und mit den Flügeln schlug. Baron
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