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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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die Dunstschicht sinken und am Boden ausruhen lassen. Der Graak war alt und schnell erschöpft. Sie befürchtete, wenn sie ihn zu hart ritt, könnte sein Herz aussetzen.
    Im Laufe ihrer Reise verschwand das Alcairgebirge
    allmählich aus ihrem Blick, bis sich die Höhenzüge schließlich im Dunst verloren und die Trostberge aus den Wolken zu ihrer Linken ragten. Averan kannte jeden Gipfel mit Namen und wußte, daß sie sich Carris, gleich hinter einem Sattelkamm siebzig Meilen weiter vorn, rasch näherte. Sie bezweifelte, ob sie Carris mit dem Dunkelwerden erreichen würde, und hoffte nur, daß die Wolkendecke dünn genug war, um die Lichter der Stadt von oben zu erkennen.
    So verkrampfte sich ihr kurz vor der Dämmerung der Magen vor Hunger, und ihr Mund wurde vor Durst ganz trocken, denn sie wollte ihr Tier nicht zwingen, mehr zu tragen, als notwendig war. Sie lag an seinen Hals geschmiegt, lauschte auf den unablässigen Doppelschlag seines Herzens und überlegte, ob sie es noch einmal rasten lassen sollte.
    Daher war sie im wichtigsten Augenblick ihres Lebens abgelenkt. Denn genau bei Einbruch der Dämmerung stürzte die grüne Frau wie ein Komet vom wolkenlosen Himmel.
    Averan hörte einen wortlosen Schrei, ein durchdringendes Klagen, und blickte hoch.
    Der Himmel über ihr war vom makellosen Blau eines
    Rotkehlcheneis. Die Frau trudelte Hals über Kopf, nackt wie eine Neugeborene. Sie war groß, von schlankem Körperbau, ihre Rippen zeichneten sich deutlich unter ihren kleinen Brüsten ab. Der Haarschopf auf ihrem Kopf und das dunkle Dreieck zwischen ihren Beinen hatten die Farbe von Fichtennadeln, ihre Haut dagegen wies einen eher gedämpften Farbton auf und erinnerte fast an Fleisch.
    Viel mehr konnte Averan nicht erkennen.
    Sie blickte himmelwärts, um festzustellen, ob die Frau aus einem Luftfahrzeug gefallen sein konnte. Flammenweber fuhren oft in Heißluftballons, und es hieß, die Herren des Himmels reisten in Wolkenschiffen, auch wenn Averan noch nie eines zu Gesicht bekommen hatte.
    Weder über ihr noch sonst irgendwo in der Nähe waren Wolken oder ein Ballon zu entdecken.
    In diesem Augenblick spürte Averan, wie der kalte Wind ihre Hände taub werden ließ, durch die Ritzen ihres Gewandes und ihr ins Gesicht blies. Sie konnte alles deutlich erkennen. Konnte den Schrei der Frau hören.
    Etwas in Averans Inneren zerbrach.
    Sie hatte ihre Mutter von einem Stuhl stürzen und sich den Kopf heftig auf den Steinen am Fuß der Feuerstelle
    aufschlagen sehen. Sie hatte ihre fünf Jahre alte Spielgefährtin Kylis vom Landeplatz des Horstes fallen sehen, hatte beobachtet, wie sie tief unten am Fuß der Felswand zerschellte.
    Sie konnte nicht untätig zusehen, wie ein weiterer Mensch zu Tode stürzte.
    Ohne einen Gedanken an ihren Auftrag zu verschwenden, Herzog Paldane in Carris eine Nachricht zu überbringen, lehnte sie sich zurück, umklammerte Ledernacken fest mit den Beinen und schrie: »Runter! Schnell!«
    Der Graak legte die Flügel eng an den Körper und schoß der grünen Frau im Sturzflug hinterher, wie ein Habicht auf der Jagd nach einer Maus.
    Einen Augenblick lang starrte die Frau mit ausgestreckten Händen zu Averan hinauf und flehte um Hilfe. Ihr Mund war ein runder, vor Entsetzen aufgerissener Schlund, die Fänge entblößt, die langen grünen Fingernägel ausgestreckt wie Krallen.
    Das ist kein Mensch, erkannte Averan. Sie wirkte durchaus menschenähnlich, wenn das auch schwer zu beurteilen war. In Sekundenschnelle stürzte sie in die Wolken und war aus dem Blick verschwunden.
    Averan folgte ihr in den Dunst. Wassertropfen bildeten Perlen auf ihrer Haut.
    Flügelschlagend bremste Ledernacken ab und weigerte sich, in den Nebel einzutauchen. Von unten erscholl das knackende Geräusch splitternden Holzes, dann war der schrille Schrei der Frau verstummt.
    Als das große Reptil unter der tiefhängenden Wolkendecke zum Vorschein kam, entdeckte Averan die Frau sofort.
    Sie war in einen Obstgarten gestürzt, mitten zwischen eine Dreiergruppe aus Holzapfelbäumen. Ein Baum war unter der Wucht des Aufpralls abgeknickt – eine einzige weiße Wunde, dort wo seine obersten Äste abgerissen worden waren.
    Der Graak glitt über den Obstgarten hinweg. Averans Verstand schien zu erstarren, während sie nun Ledernacken zur Landung drängte. Die große Echse schlug mit den Flügeln, und Averan war abgesprungen, fast noch bevor das Tier aufsetzte.
    Sekunden später hockte sie neben der grünen Frau.
    Die Frau lag

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