Schattenherz
Polls Streitroß bäumte sich auf und trat in die Luft.
Dem Aussehen nach war es ein altes Tier, und riesengroß.
Zähne wie Dolche, die goldenen Augen voller Glut.
Der Hund sprang es an, und der Graak schnappte nach ihm und bekam den Hund mit seinen langen Kiefern zu fassen. Er schüttelte den Hund einmal heftig und zerschmetterte ihm damit die Knochen.
In diesem Augenblick, während die Echse abgelenkt war, hob Baron Poll die Axt mit beiden Händen, schlug mit aller Kraft zu und erwischte das Reptil genau zwischen die Augen.
»Ha, nimm das, du widerliche Bestie!« brüllte der Baron wie als Parodie auf einen großen Helden.
Der Graak riß überrascht den Kopf zurück. Blut quoll aus der entsetzlichen Hiebwunde, die Baron Poll ihm beigebracht hatte. Der Graak flatterte einmal mit den Flügeln, dann brach er zusammen.
Eine halbe Sekunde lang blieb Roland im Überschwang des Sieges noch im Sattel hocken, die Hände blöde um sein eigenes Schwert geklammert.
Als der Körper des Graak allmählich zu Boden sank, konnte Roland das Kind erkennen, denn es war einen Augenblick lang hinter seinen Flügeln verborgen gewesen – ein Mädchen von sieben oder acht, das neben den Bäumen kniete. Halb hatte es sich zu ihm herumgedreht. Durchdringende grüne Augen und welliges Haar im selben Rot wie Rolands.
Sie trug ein mitternachtsblaues Kapuzengewand mit dem Familienwappen des Königs – das Bild eines grünen Mannes, dessen Gesicht von Eichenlaub umringt ist. Darüber war in Rot ein Graak gestickt.
Ein Himmelsgleiter. Das Blut wich Roland aus dem Gesicht.
Wir haben das Reittier eines königlichen Boten getötet, dämmerte ihm. Alles Gold, das er besaß, konnte den neuen König nicht entschädigen.
Das Kind stieß abermals einen Schrei aus, und Roland bemerkte noch etwas anderes. Der Holzapfelbaum, unter dem das Kind hockte, war gespalten, als sei ein Blitz dort eingeschlagen. Und im hohen braunen Gras unter den Bäumen lag etwas Grünes.
Eine Kralle dieses Wesens hatte sich im Gewand der
Himmelsgleiterin verfangen.
Das Kind war überhaupt nicht vom Graak angegriffen
worden. Etwas ganz anderes attackierte die Kleine.
»Hilfe!« jammerte sie.
Roland, plötzlich vorsichtig geworden, lief rasch ein paar Schritte vor, bis er die grüne Frau vollständig sah, wie sie dort in einer Blutlache von tiefgrüner Farbe lag.
Etwas diesem Ungeheuer Vergleichbares hatte er noch nie gesehen. Die grüne Frau war wunderschön und doch
fremdartiger als Rolands kühnste Phantasien. Sie hielt das Gewand des Mädchens mit ihren Krallen fest, tat sonst jedoch nichts, sondern starrte nur auf das magische Zeichen, das die Brust des Kindes zierte. Fasziniert bewegte sie das Mädchen mal hierhin, mal dorthin und betrachtete dabei die bunten Fäden, die das Bild des grünen Mannes bildeten.
Roland war verwirrt. »Geh fort von diesem Wesen, Kind«, sagte er leise. »Hör auf zu schreien, und überlaß dem Wesen dein Gewand.«
Das Mädchen drehte sich, aschfahl im Gesicht, zu ihm um.
Sie hörte auf zu schreien, fing statt dessen leise an zu wimmern, während sie das Gewand von den Schultern gleiten ließ und versuchte, sich daraus zu befreien.
Inzwischen war Baron Poll abgestiegen und kam, nachdem er sich seine Axt zurückgeholt hatte, wutschnaubend auf sie zu.
Roland sprang, das Schwert bereit, von seinem Pferd herunter.
Fast hätte die grüne Frau die beiden Männer nicht bemerkt.
Dies geschah erst, da das Mädchen zurückwich. Dann schlug sie wild um sich, packte ihren Unterarm und musterte sie aus Augen, die ebenso dunkelgrün waren wie ihr Blut.
»Laß sie los!« schrie Roland und trat, das Kurzschwert schwingend, einen Schritt vor. Baron Poll gesellte sich zu ihm.
Die grüne Frau wandte sich ihnen zu, starrte Roland an und durch ihn hindurch. Sie schleuderte das Kind wie eine Lumpenpuppe zur Seite und erhob sich, derweil sie Luft in sich aufsaugte, in eine hockende Stellung. Ihre kleinen Brüste schaukelten mit jeder Bewegung hin und her. Dann hatte sie eine Witterung aufgenommen und heftete den Blick auf Baron Poll.
Rolands Herz pochte vor Angst.
»Ganz recht«, meinte Baron Poll. »Ich bin es, auf den du es abgesehen hast. Ich bin es, den du willst. Riechst du das Blut?
Willst du etwas davon? Dann komm und hol es dir.«
Und die grüne Frau kam, sprang auf Poll zu und legte die sechzig Fuß in drei Sätzen zurück. Roland wappnete sich für ihren Angriff. Er stemmte die Füße in den Boden, hob sein Schwert und bemaß
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