Schattenherz
paar Boten abgesehen, habe ich weder in Lysle noch in Mystarria jemanden Erwählt, um einschätzen zu können, was uns bevorsteht.« Er fügte hinzu: »Wir müssen uns also überlegen, wie wir vorgehen wollen, und einen Weg finden, uns gegen Raj Ahten zu verteidigen.«
»Ihr solltet wissen«, sagte Lord Ingris leise, »daß andere Lords bereits gegen Raj Ahten ins Feld gezogen sind. Sobald wir Kaufleute vom Einmarsch nach Mystarria erfuhren, haben wir ihn angegriffen – und wir stehen nicht allein.«
»Wie dem?« fragte König Orwynne.
»Während Ihr Euch mit Waffen und Männern zur Wehr
setzt«, erläuterte Lord Ingris, »war in Lysle der Wohlstand schon immer unsere beste Verteidigung. Wir heuern Söldner an, die unsere Grenzen sichern, und wir zahlen unseren Nachbarn Tribut. Nachdem wir von dem Überfall Kenntnis erhielten, sandten wir Botschaften an bestimmte Lords in Inkarra und boten ihnen große Summen an, damit sie ihre Meuchelmörder losschicken, um Raj Ahtens Übereigner in den südlichen Provinzen zu erschlagen. Dort erwartet er es am wenigsten.«
»Gut gemacht!« lobte König Orwynne. »Ich habe tausend gute Kraftsoldaten in Orwynne, die ihn aus dem Norden angreifen können!«
Ingris grinste breit. »Die Kriegsherren von Toom werden vielleicht ebenfalls mitmachen, nach allem, was ich höre…«
Sir Borenson saß schweigend da und lauschte voller
Unbehagen. Er persönlich hatte Raj Ahtens Übereigner ermordet, hier in Burg Sylvarresta, keine zweihundert Meter von diesem Saal entfernt. Diese grausige Tat hatte er nur begangen, da man sie ihm befohlen hatte und weil sie von großem Nutzen war, doch konnte er es nun kaum ertragen, sich das Gerede über weitere Metzeleien anzuhören.
Er wollte gerade das Wort ergreifen, da rief Gaborn: »Nein!«
Streng blickte er Ingris und Orwynne an. »Solch einen Plan lasse ich nicht zu!«
»Warum nicht?« wollte Ingris wissen. Er zog ein seidenes Taschentuch hervor, putzte sich die Nase und ließ es auf den Boden fallen.
»Dieser Preis ist zu hoch«, antwortete Gaborn. »Ich kämpfe nicht gegen Raj Ahten, sondern für die Menschen. Eure Krieger auf seine zu hetzen ist töricht.«
Nüchtern hielt Ingris dagegen: »Die Pfeile sind bereits abgeschossen. Vielleicht könnt Ihr Raj Ahten nicht mehr vor seinem Schicksal bewahren.«
Gewißlich, dachte Borenson, dieser Mann ist sich seiner Sache zu sicher. Schließlich schicken wir schon seit Jahren Meuchler los. Zu seiner Überraschung wirkte Gaborn seltsam entsetzt.
»Sagt mir, wann habt Ihr die Entscheidung gefällt,
Meuchelmörder aus Inkarra anzuheuern?« erkundigte sich Gaborn.
Lord Ingris dachte kurz nach. »Vor ungefähr einer Woche.
Am Nachmittag des Tages, an dem Euer Vater den Tod fand.«
Gaborn starrte den Lord an. »An jenem Nachmittag hat Zauberer Binnesman Raj Ahten verflucht, hat ihm den Tod gewünscht. Wie Ihr, fürchtet auch er, daß dieser Fluch nicht mehr abgewendet werden kann. Mich verwundert nur das zeitliche Zusammenfallen beider Ereignisse. Vielleicht hat Euch die Erde als Werkzeug benutzt.«
Lord Ingris kicherte. Das erschien ihm nun doch ein wenig weit hergeholt. »Ich möchte es bezweifeln. Falls Raj Ahten fällt, so werden es mein Gold und die Gier der Inkarras sein, die ihm den Tod brachten, nicht der Fluch irgendeines Erdwächters.«
Nun meldete sich Iome, die hinter Gaborn saß, zu Wort:
»Und woher stammt Euer Gold?« fragte sie. »Nicht etwa aus der Erde?«
In dem Schweigen, welches dieser Bemerkung folgte, fragte sich Borenson: Konnte eine so geringe Anzahl von
Meuchelmördern tatsächlich einen so großen Schlag gegen den Wolflord ausführen?
Das mochte er nicht glauben. Raj Ahten hatte viel zu viele Übereigner, die weit über ein riesiges Königreich verstreut waren, und sie wurden hervorragend bewacht.
Möglicherweise würde es ihn schwächen, umbringen jedoch sicherlich nicht.
Dazu mußte man ihm sehr wichtige Gaben entreißen. Falls er zum Beispiel Durchhaltevermögen verlor, konnte er zwar seine Kraft erhalten, allerdings bedeutete dann ein gutgezielter Hieb seinen Tod. Verminderten sich seine Gaben des Stoffwechsels, so verlangsamten sich seine Bewegungen so sehr, daß ihm ein jeder Krieger den Kopf vom Rumpf trennen konnte.
Unter den richtigen Umständen vermochten tatsächlich einige wenige Meuchelmörder dem Wolflord einen
todbringenden Stoß zu versetzen.
Gaborn schüttelte nur den Kopf. »Guten Gewissens darf ich keinem Menschen den Tod wünschen. Und
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