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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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Blütenblätter öffnen oder wie die Samenkörner auf einem frisch bepflanzten Feld treiben. Für sie war das Studium der Geschichte ein fortwährendes Vergnügen.
    Und keiner von beiden wollte mehr als das, mehr als einfach zuzuschauen. Sie wollten weder die Welt verbessern noch den Schmerz der anderen lindern. Sie waren nicht auf ihren Vorteil aus.
    Sie gaben sich damit zufrieden, zuzuschauen, weiter nichts.
    Gaborn war fassungslos. Er stand sprachlos da und staunte.
    Er hatte nie für möglich gehalten, daß das Herz eines Menschen so eigenartig sein könnte wie jenes, das er in dem Historiker schlagen sah.
    Er überlegte. Vorhin hatte er Iome erzählt, daß er ziemlich genau das gleiche wollte; seine Sphäre sollte die gleiche sein wie ihre, und er wolle mit ihr zusammenwachsen. Doch vielleicht war das nicht zu erreichen, solange sie zwei getrennte Geschöpfe blieben. Die Days dagegen hatten eine Möglichkeit gefunden, einen Weg, wie zwei Menschen sich vereinen konnten, um einen Verstand und ein Herz zu teilen, und diesen Weg hatten sie verfolgt.
    Gaborn beneidete sie fast. Er hätte mit Iome über diese Möglichkeit gesprochen, doch für sie beide war es zu spät. Sie hatte Raj Ahtens Vektor bereits eine Gabe der Anmut abgetreten, und obwohl der Vektor tot und Iomes Schönheit zu ihr zurückgekehrt war, machte der Umstand, daß sie eine Gabe abgetreten hatte, es ihr unmöglich, jemals eine weitere abzugeben.
    Sie und Gaborn würden diese Intimität niemals erfahren können.
    »Ich werde über Euer Ansinnen nachdenken«, sagte Gaborn.
    »Danke, Euer Hoheit«, erwiderte der Days.
    Gaborn setzte sich ans Fenster, sah hinaus und lauschte den Fröschen, während die frische Nachtluft ihm ins Gesicht wehte.
    Lange Stunden saß Gaborn dort und gönnte sich seine Ruhepause nach Art der Runenlords: wanderte mit offenen Augen durch ein Reich der Träume.
    In seinen Träumen war er ein junger Mann, der einen Hengst durch eine düstere Felsspalte auf einer schmalen Bergstraße reitet, die er einst mit seinem Vater passiert hatte.
    Er kannte diesen Ort, diese trostlose Landschaft. Vergangene Woche hatte er seinen Days gefragt, warum man ihresgleichen früher ›Die Wächter der Träume‹ genannt hatte. Er hatte geantwortet, eines Tages werde er diesen Ort im Schlaf aufsuchen: dieses Land in seiner Traumlandschaft, in dem alle seine Ängste verborgen lagen. Er hatte Gaborn aufgetragen, nach diesem Ort zu suchen. Nur war er in diesem Traum alleine, und Spinnweben versperrten ihm den Weg, Spinnweben, so fest wie Bänder aus Stahl. In den Rissen des dunklen Gesteins konnte er die mehr als krebsgroßen Spinnen durch die Schatten huschen sehen, deren Augen funkelten wie leuchtende Kristalle.
    Jetzt blickte Gaborn aus der dunklen Schlucht voller Spinnweben nach oben. Sein Herz schlug vor Entsetzen, und seine Brust schnürte sich zusammen. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er zog seinen Säbel und bahnte sich seinen Weg durch die kräftigen Ranken, die zerrissen wie die Saiten einer Laute. Er drängte sein Pferd voran.
    Er verfehlte einen Strang. Der prallte gegen seine Stirn und zerschnitt ihm das Gesicht, bevor er riß. Gaborn ritt weiter, während ihm das Blut über den Nasenrücken zwischen die zusammengepreßten Lippen lief.
    Dies ist das Land der Ängste, dämmerte ihm. Hier sind meine Schrecken zu Hause. Jetzt eilte er ihnen entgegen.
    Tief gebückt ritt er in forschem Tempo die enge Schlucht hinauf, einerseits in Todesangst, andererseits in der Hoffnung, er werde dort seinen Vater vorfinden oder seine Mutter oder irgendeine andere angemessene Belohnung.
    Doch weiter vorn wand und schlängelte sich der Spalt.
    Schließlich weitete er sich zu einer breiten Schlucht, in der ein trübes Licht schimmerte.
    Über ihm, hoch auf einem dunklen Roß, hockte sein Days.
    Sein schmaler Kopf ein dunkler Keil, sein kurzgeschorenes Haar zerzaust. Er wirkte noch dürrer als sonst. Er war kaum mehr als Knochen und ein Bündel Stoff. In der Hand hielt er ein flackerndes grünes Licht, ähnlich der Flamme einer vom Wind verwehten Laterne, auch wenn das Licht aus keiner Lampe zu stammen schien.
    »Ich habe Euch erwartet«, rief ihm der Days, das fahle Licht hochhaltend, entgegen, als wollte er es Gaborn reichen.
    »Ich weiß«, erwiderte Gaborn. »Ich will versuchen, Euch nicht zu enttäuschen.«
    Gaborn griff nach dem Licht. »Was ist das?« fragte er, da es seine Hand berührte.
    »Die Hoffnung der Welt und alle ihre Träume«,

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