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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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aufziehenden Grau der Morgendämmerung
    konnte Roland die Gesichtszüge der grünen Frau erkennen.
    Sie war eine der schönsten Frauen, die er je zu Gesicht bekommen hatte, und das trotz ihrer eigenartigen Hautfarbe und ihrer dunkelgrünen Lippen.
    Sie lag neben ihm, doch plötzlich merkte er, daß sie noch immer verängstigt in die rauchende Glut des Feuers starrte.
    »Keine Sorge«, sagte er leise, »es wird dir nichts tun.«
    Sie packte seine verletzte Hand und schnupperte am
    Verband. »Blut – nein!« sagte sie leise.
    »Ganz recht«, erwiderte Roland. »Blut, nein! Du bist ein kluges Kind«, lobte er staunend. »Und gehorsam. Zwei Eigenschaften, die ich bei Frauen – oder was immer du bist – bewundere.«
    »Du bist ein kluges Kind«, äffte sie ihn nach. »Und gehorsam. Zwei Eigenschaften, die ich bei Frauen – oder was immer du bist – bewundere.«
    Roland roch an ihrem Haar. Es duftete eigenartig… wie eine Mischung aus Moos und Basilikum, entschied er. Sie war groß – so groß wie er, nur muskulöser.
    Er nahm ihren Daumen und flüsterte: »Daumen. Daumen.«
    Sie wiederholte seine Worte, und in wenigen Minuten hatte er ihr alles über Hände und Arme und Nasen beigebracht und ging zu den Bäumen, dem Herbstlaub und dem Himmel über.
    Er wurde müde und sank zurück in den Schlaf. Vielleicht, weil er eine Frau in seinen Armen hielt, vielleicht, weil er sich nach der Gesellschaft einer Frau sehnte und sich immer noch an seine Ehefrau erinnerte, die ihn vor zwanzig Jahren abgewiesen hatte, dachte er an Sera Crier und an das Pflichtgefühl, das ihn nach Norden getrieben hatte.
    Ihm fiel ein, wie er vor sieben Tagen aufgewacht war…
     
    Roland hatte seine weiten Hosen übergestreift und zu Sera Crier gesagt: »Ich habe meine Gaben vor zwanzig Jahren abgetreten, an einen Mann namens Drayden. Er war Unterkommandant in der Garde des Königs. Ist dir der Name bekannt?«
    »Lord Drayden?« verbesserte sie ihn. »Der König hat ihm vor mehreren Jahren gestattet, sich auf seinen Ländereien zur Ruhe zu setzen. Er ist ziemlich alt – ich glaube, Ihr wart nicht der einzige, von dem er eine Gabe des Stoffwechsels übernommen hat. Er reist jedoch noch immer jedes Jahr nach Heredon – zur königlichen Jagd.«
    Roland nickte. Alles deutete darauf hin, daß Lord Drayden von einem Pferd abgeworfen worden oder einem der alten Keiler aus dem Dunnwald begegnet ist, dachte er. Die riesigen Eber waren groß wie Pferde und hatten schon manchen Jäger auf die Hörner genommen.
    Der Gedanke war noch nicht ganz wieder aus seinem Kopf heraus, als ein Ruf durch die engen Steinflure des Bergfrieds der Übereigner hallte. »Der König ist tot! Mendellas Val Orden ist gefallen!« und von einer anderen Stelle im Bergfried rief jemand: »Sir Beaufort ist gestorben!« und eine Frau schrie: »Marris ist gefallen!«
    Roland staunte, daß so viele Lords und Ritter gleichzeitig umgekommen waren. Das zeugte von mehr als einem Zufall, von mehr als einem Unfall.
    Er hatte seinen Stiefel zu Ende übergestreift und rief: »Lord Drayden hat seine letzte Ruhe gefunden!« Anschließend, als immer mehr Todesfälle gemeldet wurden, überschlugen sich die Rufe aus dem Blauen Turm der Übereigner – zu viele Namen, zu viele Ritter und Lords und gewöhnliche Soldaten, als daß jemand hätte Buch führen können.
    Wildschweine töteten nicht so viele Menschen auf einmal. Es klang nach einem großen Gefecht. Während er den Dutzenden von Stimmen lauschte, die mit Nennung der Gefallenennamen miteinander zu verschmelzen begannen, dachte er: Nein, auch kein Gefecht. Das klingt nach einem Gemetzel.
    Roland stürzte aus seiner Kammer in den engen Flur im Bergfried der Übereigner und stellte fest, daß seine winzige Pritsche am oberen Ende einer Treppe stand. Aus einer Kammer in der Nähe torkelte eine Frau heraus und rieb sich die Handgelenke. Auf der anderen Seite des Flures sah sich ein Mann blinzelnd um. Er hatte irgendeinem Lord die Nutzung seiner Augen überlassen.
    Sera Crier folgte Roland auf dem Fuß.
    Leidgeplagte Rufe gellten durch den Blauen Turm. Der Legende nach war er nicht von Menschenhand erbaut worden, da kein Mensch so gewaltige Steine behauen und heben könne wie jene, die seine äußeren Brüstungsmauern bildeten. Dreißig Stockwerke hoch ragte der Bergfried über dem Carollmeer auf.
    Mit seinen Zehntausenden von Zimmern bildete er eine eigene, weitläufige Stadt. Über wenigstens drei Jahrtausende hinweg hatte er die Übereigner

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