Schattenjäger
sinnlos. Sie war in den geistigen Disziplinen nicht geschult genug, um einen Gedankenleser zu täuschen.
»Vielleicht lügt Zamara ja.«
»Zamara hat mich jedenfalls nicht wie ein Tier verschnürt und geistig gefoltert. Also rate mal, wem ich eher vertraue.«
Feianis und Alzadar tauschten Blicke. »Du wirst in dieser Sache keine Wahl haben«, sagte Feianis. Alzadar trat zur Seite und kam mit einem großen Gefäß zurück. Unter den Protoss entstand abermals mentales Gemurmel, und alle beugten sich gespannt vor.
Ihrer Schmerzen zum Trotz empfand Rosemary Neugier. Was zum Teufel befand sich in diesem Gefäß?
»Du wirst eine von uns werden. Unsere Sache wird die deine werden. Unsere Ziele werden die deinen sein. Es ist eine Ehre, Rosemary Dahl.«
Einen Moment lang verspürte Rosemary das Verlangen, sich wie ein geistloses Tier zu sträuben und zu wehren. Sie erstickte diesen Wunsch mit der Willenskraft, die sie im Laufe der vonDisziplin geprägten Jahre entwickelt hatte. Das plötzliche Rasen ihres Herzens konnte sie jedoch nicht kontrollieren.
Alzadar schüttelte den Kopf und ergriff zum ersten Mal das Wort. Seine geistige Stimme war voll und beherrscht, die Stimme von jemandem, der diszipliniert war und im Gegensatz zu Feianis keinen Grund zur Rage und zum Schreien hatte, der nicht einmal sprechen musste – bis er befand, dass es notwendig war.
»Nein, meine Brüder und Schwestern, für uns ist es noch nicht an der Zeit. Dies dient allein dem Wohle unseres Gastes.« Er trat vor, seine zerlumpte Kleidung flatterte, dann nahm er den Deckel des Gefäßes ab.
Ein unangenehm süßer Geruch stieg Rosemary in die Nase, und sie hustete heftig. Die Bewegung ließ neuerliche Schmerzen durch ihre gefesselten Glieder schießen, und das Husten wurde zu einem spitzen Aufschrei. Schweiß benetzte auf einmal ihren Körper, und sie versuchte zu erkennen, was sich in dem Gefäß befand. Es handelte sich um eine Art Salbe, die Farbe wie dunkles Gold, und Alzadar nahm mit seinen langfingrigen Händen etwas davon heraus und trat vor sie hin.
Rosemary konnte keine Gedanken lesen. Aber das brauchte sie auch nicht, um tief in ihrem Herzen zu wissen, dass sie echte Probleme bekommen würde, wenn sie in Kontakt mit diesem hübsch aussehenden Zeug geriet. Und so versuchte sie, obwohl sie ob der weißglühenden Pein, die sie infolge der plötzlichen Bewegung durchzuckte, beinahe das Bewusstsein verlor, nach hinten zu rutschen. Es war töricht, vergebens, aber der Instinkt ließ sich ebenso wenig stoppen wie das Rasen ihres Herzschlags. »Haltet sie fest«, sagte Alzadar kühl. Fremde Finger schlossen sich wie Zangen um ihre Beine, Schultern, Hüfte und Arme.
»Nein!«, kreischte Rosemary; Wut und namenlose Angst verliehen ihr Kraft. Aber die Zartheit der Hände, die sie festhielten, täuschte, und ihre Versuche, sich ihnen zu entwinden, erwiesensich als sinnlos. Mühelos wurde sie auf den Bauch gedreht. Eine Schmerzwelle, so heftig, dass sie abermals an den Rand einer Ohnmacht getrieben wurde, jagte durch ihren Körper. Alzadar beugte sich zu ihr herunter, schmierte die Salbe zuerst auf die Innenseiten ihrer Handgelenke und griff dann in ihr Haar, riss ihr den Kopf nach hinten und rieb ihr das Zeug auf den Hals.
Rosemary hatte den unpassenden Gedanken, dass dies genau die Stellen waren, an denen sie ein Parfüm aufgetragen hätte – auf Hals und Handgelenke, auf die Pulspunkte ihres Körpers. Irres Lachen stieg in ihr auf, doch sie zwang es nieder. Die Salbe fühlte sich warm auf ihrer Haut an. Beruhigend. Und angenehm.
»Nein!«, schrie sie abermals und legte all ihre Willenskraft in diesen Aufschrei. Er erschreckte die Protoss, das konnte sie sehen. Aber es war zu spät, war schon zu spät gewesen in dem Augenblick, da sie den ersten Fuß in dieses Höllenloch gesetzt hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde begriff Rosemary, was geschah, und mit allem, was noch in ihr war, widersetzte sie sich dem. Sie wollte nicht wieder zu jenem Menschen werden, zu dieser Sklavin, diesem bedürftigen, gefangenen Ding. Sie wollte dieses Wohlsein nicht mehr, diesen Frieden, diese Ruhe, weil sie wusste, dass alles nur eine Lüge war und bald, allzu bald, vorbei sein und sie dann mehr brauchen würde.
Mehr haben musste.
Dass sie unaussprechliche Dinge tun würde, um mehr zu bekommen.
Doch dann waren aller Widerstand, alle Angst, alle Verweigerung dahin. Selbst die Schmerzen in ihren gefesselten, verdrehten Gliedern waren vergangen. Rosemarys
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