Schattenjäger
Boden, die Ränder waren glatt wie mit einem Laser geschnitten. Hinter Jake schnappte Rosemary leise nach Luft, und er nahm das Staunen und die Ehrfurcht der Protoss wahr wie eine warme, kribbelnde Welle, die über ihn hinwegflutete.
Das Loch, das dieses schwebende Rechteck im Boden hinterließ, war keine Höhlung, keine Wunde in der Oberfläche des Planeten. Es war eine Treppe, die hinunterführte ins Herz des Wunders. Sie sah neu aus, so neu, wie sie es gewesen war, als Temlaa sie vor so langer Zeit erblickt hatte – wahrscheinlich sah sie so aus, seit sie erschaffen worden war. Die Wände waren organisch, bestanden aus Erdreich und Stein, aber darin zeichnete sich ein Streifen aus Metall ab, der offenbar nicht natürlichen Ursprungs und nahtlos darin eingewoben war. Auch leuchtende Kristalle waren in die Wand eingebettet und spendeten jedem Licht, der diese Stufen hinabsteigen mochte.
Jake spürte Alzadars Unmut. Dann nörgelte der Protoss: »Ich… Gibt es denn keinen anderen Weg? Dieser ist verboten…«
Rosemary drehte sich zu ihm um. »Dieser Bereich wurde euch nur aus einem Grund verboten – weil Ulrezaj es gesagt hat«, erklärte Rosemary. »Und du weißt doch, dass Ulrezaj euch von einer echt fiesen Droge abhängig gemacht hat – und du glaubst längst, dass er euch belogen hat. Und wenn er das ist, was wir glauben, dann ist er ein wahres Ungeheuer. Du bist ein Templer – zumindest warst du mal einer. Also gehen wir.«
Jake zuckte zusammen, aber Rosemary hatte nichts weiter getan, als die Wahrheit zu sagen, und damit ließ sie Alzadar für einenMoment verstummen. Die Macht, die Ulrezaj über die Geschmiedeten besaß, war groß, das wusste Jake, andernfalls wären sie ihm nie gefolgt. Aber es steckte mehr dahinter als nur die Droge. Ulrezaj zielte auf die tief sitzenden Ängste der Protoss ab – ihre uralte Furcht davor, im Stich gelassen zu werden, nicht gut genug zu sein. Jake wusste, wie machtvoll diese Furcht war, schließlich war er einer von ihnen gewesen. Er hatte gesehen, wie die Xel’naga verschwunden waren, hatte gesehen, was dieses Verlassen den Protoss angetan hatte.
Er teilte seine Gedanken mit den anderen. »Es ist eine alte Wunde«, sagte er leise. »Durch Zamara war ich dabei, als sie geschlagen wurde. Khas zeigte euch den Weg – den Weg der Einigkeit, des Vertrauens. Ehre dies nun, Alzadar. Vertraue uns, wie du weißt, dass du es kannst, und lass dich nicht von diesem… diesem Ungeheuer beeinflussen. Die Protoss von Aiur und die Dunklen Templer verabscheuen, was er ist und was er getan hat. Er braucht euch, eure Kooperation. Verweigert sie ihm, und ihr fangt an, ihn zu schwächen.«
Alzadar wandte sich ihm zu. Jake fühlte sich von einem sehr scharfen und starken Geist durchleuchtet. Er unternahm keinen Versuch, sich oder seine Gedanken abzuschirmen.
»Es ist Jacob, der so spricht, nicht Zamara«, sagte Alzadar. »Woher weißt du so genau, was du sagen musst, Terraner?«
Jake lächelte schwach. »Weil… ich euch vielleicht besser kenne als ihr euch selbst. Und dieses Wissen mag das sein, wofür ich sterbe.«
Die Ahnung eines leichten Zusammenzuckens, dann nickte Alzadar. »Ich… komme mit«, sagte er.
Jake hatte nie viel über seinen Tod, der da irgendwann kommenwürde, nachgedacht, und auch nicht darüber, wie er einst sterbenwürde. Aber wenn er einmal daran dachte – wenn solch esoterische Unterhaltungen aufkamen an späten Abenden inniger Kameraderie, die mit einem Tick zuviel Alkohol geschmiert sein mochte –, war er immer der Meinung gewesen, es gar nicht wissen zu wollen. Wenn er seinen Tod kommen sähe, hatte er immer geglaubt, würde er sich so sehr darauf konzentrieren, dass für nichts anderes mehr Raum wäre.
Und nun stand dieses Thema zweifellos im Vordergrund seines Denkens, aber anstatt ihn vom Leben, wie es um ihn herum seinen Lauf nahm, zu trennen, verstärkte der Gedanke an den Tod seinen Wunsch, das Leben zu genießen, zu erfahren. Als Zamara ihm die Nachricht vor ein paar Stunden eröffnet hatte, war er am Boden zerstört gewesen. Inzwischen aber war er sich dadurch jeder Kleinigkeit auf fast übernatürliche Weise bewusster. Jeder Bissen Essen schmeckte auf einmal besser. Das Licht der Sonne und des Mondes auf seiner Haut waren wie kleine Wunder. Das automatische Funktionieren seiner Lunge, seines Herzens, seines ganzen Körpers – erstaunlich. Und als er schließlich zu dem Ort hinabstieg, den auch Temlaa und Savassan vor so langer Zeit
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