Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
Vom Netzwerk:
sonst hätte ich das Folgende wohl überhört. Doch so hatte ich bereits den Großteil der Nacht mit übernatürlich geschärften Sinnen gearbeitet. Und empfindliche Sinne sind eine wunderbare Sache, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat.
    Klauenbewehrte Füße fuhren über die Erde wie Finger über ein Trommelfell, unglaublich schnell. Noch weit entfernt, doch es kam näher.
    Viel näher. Jemand kam zum Abendessen vorbei. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, und das Silber in meinem Haar begann zu klirren. In meinen höllisch sensiblen Ohren klang das entsetzlich laut und übertönte alles andere. Unmöglich zu ignorieren.
    Mit wirbelndem Mantel fuhr ich herum und starrte auf die halboffene Haustür, die ich eingetreten hatte. „Verfluchte Scheiße“, flüsterte ich und vergaß einen Augenblick sogar die nackten Mädchen. Ich hörte jeden einzelnen ihrer Herzschläge, es mussten gut zwanzig sein. Völlig wehrlos, und ihrem Geruch nach zu urteilen, hatten die Hygieneeinrichtungen auch zu wünschen übrig gelassen. Aber sie waren bei guter Gesundheit, also hatten sie vermutlich zu essen bekommen.
    Genau der richtige Treibstoff, um die Anrufung eines hungrigen Großen Alten so richtig in Gang zu bringen.
    Scheiße. Verfluchte Kacke! Ich drehte mich wieder den Mädchen zu. Die Kleine hinter der Anführerin hatte sich schützend die Arme um die bloßen Brüste geschlungen. Immer mehr wagten sich nun aus dem Keller, und keine von ihnen sah einen Tag älter als zwanzig aus. Sie drängten sich alle hinter dem dunkelhaarigen Mädchen zusammen, das ganz offensichtlich die Verantwortung übernommen hatte. In ihren Augen lag ein Funkeln, das ich zu gut kannte – aus einem früheren Leben, unendlich fern.
    Sie war nicht bereit, so jung zu sterben, und sie würde nicht klein beigeben.
    Was stelle ich jetzt nur an? „Hört mal her. Jonte hat eine Reihe von Autos, die Schlüssel hängen in der Küche. Seid aber vorsichtig, überall liegen Glassplitter herum. Seht zu, dass ihr zum Teufel noch mal hier rauskommt, gleich bricht die Hölle los.“
    Sie verkraftete die Situation besser, als ich angenommen hätte. „Wo sollen wir hin? – Haltet die Klappe!“ Das Letzte brüllte sie über die Schulter, und sofort verstummten das Schniefen und das unruhige Gedrängel hinter ihr. Die jungen Frauen klammerten sich aneinander fest und wischten sich die feuchten Augen, während immer mehr von unten nachströmten. „Verflucht noch mal! Ich werde uns hier rausholen, aber ihr müsst endlich mal mit dem Jammern aufhören!“
    Ich mag die Kleine. „Fahrt in die Innenstadt. Wenn ich mich nicht täusche, hat er einen beschissenen Geländewagen in der Garage. Geht in die nächstbeste Polizeiwache und sagt ihnen, Kismet schickt euch. Verstanden? K-I-S-M-E-T. Kismet.“
    „Kismet. In Ordnung. Zeigen Sie mir, wo die Autos stehen, ich hab ’nen Führerschein auf Probe.“ Ja, kein Zweifel. Sie hatte hier das Sagen. „Amy, Conchita, ihr zwei teilt die Mädels in Gruppen auf. Los geht’s. Na kommt schon. Hör auf zu weinen, Vicky. Hey, hilf ihr da drüben mal.“ Sie klang wie ein General auf dem Schlachtfeld, aber ich hörte das panische Hämmern ihres Pulses. Sie war zu Tode verängstigt. Und dabei so jung.
    Verfluchte Scheiße! Ich kann sie doch nicht einfach sich selbst überlassen. „Kommt mit.“ Als ich sprach, fing der Kristallleuchter wieder an zu klirren. In meiner Stimme schwang die pure Mordlust. Meine Narbe wurde auf der Stelle kalt und presste sich wie ein Eiswürfel in mein Fleisch. „Wie heißt du?“
    „Hope“, antwortete sie und eilte vorwärts. Dass sie keinerlei Kleidung trug, schien sie offenbar nicht einmal zu bemerken. Doch ich sah die Prellungen an ihren Schenkeln und bemerkte, wie sie sich bewegte – als könne sie nicht einmal die Berührung der Luft ertragen. „Hope Melendez.“ Sie bekam eine Gänsehaut, und ich hörte, wie die Tritte in der Ferne stockten, anhielten … und auf einmal mit doppelter Geschwindigkeit lospreschten.
    Scheiße. Verfluchte Scheiße.
    „Schneller!“, schrie ich und einige der Mädchen fuhren zusammen. „Hier entlang, und macht schnell. Na los doch!“ Ich konnte mir schon denken, wo die Garage lag. Und Jonte war bekannt für seine Wagensammlung.
    Dann werde ich sie mal in ein oder zwei Autos verfrachten. Himmel, ich hoffe, es können noch mehr von ihnen fahren.
    Dann muss ich nur noch den Wendigo so lange in Schach halten, bis sie fliehen können.

22
     
     
    Zwei der

Weitere Kostenlose Bücher