Schattenjagd
Kurzem hab ich einen Utt’hurnk aus einem Kind gezerrt, und dann war da noch ein Neophyt, der was von Chutsharak gegurgelt hat, bevor er seinen Giftzahn zerbissen hat. Weißt du zufällig, was das heißt?“
„In diesem prähistorischen Scheiß war ich nie gut.“ Er schüttelte den Kopf und braune Locken fielen ihm in die Stirn. „Ich dachte, du lässt hier keine Sorrow rein.“
„Mach ich auch nicht. Sobald ich ihr Versteck finde, räuchere ich sie aus. Pass schön auf dich auf, bis dahin. Wenn du irgendwas hörst, das wie Chaldäisch klingt, nimmst du die Beine in die Hand.“
„Darauf kannst du wetten. Hey, geh sachte mit diesem Zeugen um. Er ist mit den Nerven ziemlich am Ende. Und er will nichts mit der Polizei zu tun haben, sonst hätte ich mich selbst mit ihm getroffen und ihn zu dir gebracht.“
Sachte sein? Ich bin die Sanftmut in Person. „Versteht sich doch von selbst.“ Wir hoben beide unser Bier und stießen an. Auf einmal wirkte er wieder viel gelassener. „Ich werde nett sein, versprochen.“
„Aber sicher doch.“ Langsam kehrte die Farbe in Aves Gesicht zurück. „Ganz bestimmt wirst du das.“
Ich spürte regelrecht, wie meine Augenbrauen nach oben wanderten. „Du bist und bleibst ein Zyniker, Avery. Eines Tages wird sich das noch mal rächen.“ Abermals hob ich mein Bier und nahm einen langen Zug.
Es schmeckte ein bisschen saurer, als mir lieb war. Aber vielleicht war das auf meiner Zunge auch nur der Geschmack von Pech.
Statt unsere Nachforschungen zu betreiben, machten wir uns also auf die Socken und suchten nach Schluckspecht-Robbie, dem nervösen Zeugen. Die Nacht war kalt, und vom Fluss zogen Wolken auf, allerdings so langsam, dass es frühestens um fünf oder sechs Uhr morgens regnen würde. Tapfer durchbohrte zumindest das Licht einiger Sterne den Schleier der Nacht und das orange Glühen der Stadt. Außerhalb der Stadtgrenze, wo beinahe schon die Wüste anfing, schien wohl gerade der Mond auf Palmlilien und Sandstein. Es war eine Nacht wie geschaffen für scharfe Zähne und schnelles Töten. Selbst die Luft schien gespannt zu lauern.
Zuerst klapperten wir die einfacheren Plätze auf Averys Liste ab: die Bahnhofsmissionen, Prosper Alley, den Fixertreff in der Trask Street, den Brunnen auf dem Plaskeny Square. Nada. Keine Spur von unserer Zielperson.
Viele der Leute, die wir in dieser Nacht sahen, bekamen nicht einmal mit, dass wir da waren. Ich hielt mich dicht an Saul, und sein Wer-Tarnzauber ließ uns beide unsichtbar werden. Es ist alte Tradition, dass Werwesen und Jäger sich zusammenschließen, und schon oft war ein Jäger dankbar für die Gabe des Fellvolkes, sich verbergen zu können. Ich fiel nur deshalb aus der Reihe, weil ich mit meinem Verbündeten auch ins Bett ging, aber selbst das war kein Einzelfall. Die meisten Werwesen stehen nur nicht auf Bettspielchen mit Menschen -wir sind zu zerbrechlich.
Doch die Narbe auf meinem Handgelenk hatte mich weitaus robuster gemacht. Das gab den Dingen einen neuen Reiz.
Ebenso wie Sauls anfängliches Misstrauen und seine Abneigung mir und meinem höllenverseuchten Selbst gegenüber einen gewissen Reiz ausgemacht hatte. Manchmal frage ich mich, warum er überhaupt zurückgekommen war.
Penner findet man in jeder Stadt. Aber in Santa Luz nach einem bestimmten Obdachlosen zu suchen war wie die Jagd nach der Nadel im Heuhaufen und genauso frustrierend. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als in der Gegend herumzuschlendern in der Hoffnung, schließlich am richtigen Fleck zu landen.
Gerade suchten wir Santa Luz’ zweitgrößtes Mekka für Stadtstreicher ab: den Broadway. Wachsam lief ich neben Saul und warf hin und wieder einen Blick auf den geborstenen Gehweg, während wir uns durch Gruppen von Straßenkindern hindurchschlängelten, die sich in Häusereingängen versammelt hatten und legal wie illegal erworbene Zigaretten teilten. Nicht wenige von ihnen hielten Flaschen in den Händen, die in braune Tüten gewickelt waren, und eine ganze Reihe war jünger als Baby Jewel. Dreadlocks, gefärbte Haare, Piercings, verschiedene Kleidungsstücke, die sie übereinander trugen, um in diesen Wüstennächten wenigstens ein bisschen warm zu bleiben – Gangs und Straßenfamilien, die sich aneinanderdrängten, um etwas Trost und Schutz zu haben. Dieser Anblick hätte jeden zum Zyniker gemacht.
Dann fiel mein Blick auf einen dünnen, nervös wirkenden Mann mit zerzaustem braunem Haar, der abwechselnd mit einer größeren
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