Schattenjagd
Vogelscheuche von einem schwarzen Mann in Army-Klamotten aus einer Flasche trank. Der braunhaarige Strubbelkopf trug einen graubraunen Mantel und einen roten Rucksack, schwarze Stiefel und ein grellblaues T-Shirt.
Es dauerte volle fünfzehn Sekunden, bis auch Saul ihn bemerkte. „Der da?“
„Mantel, Rucksack, Stiefel und ein einziges Nervenbündel. Sieht ganz danach aus.“ Ich machte einen Schritt in die Richtung des Typen, aber Saul hielt mich zurück. „Was denn?“
Er legte den Kopfschief. „Da ist ihm wohl noch jemand auf den Fersen.“
Ich sah mich um. Da, im Schatten eines Hauses stand wie jemand, der das beruflich machte, ein dürrer Mann in einem langen dreckigen Kittel und schnippte gerade seine noch glühende Zigarette weg. Es ist mehr als merkwürdig, wenn ein Obdachloser eine halb aufgerauchte Kippe einfach so wegwirft, und dann auch noch ohne ein letztes Mal daran zu ziehen. Außerdem war er eindeutig zu frisch rasiert, um als Penner durchzugehen.
Bei so was fangen bei allen Jägern sofort die Alarmglocken zu schrillen an.
„Der trägt so viel Metall mit sich herum, dass ich es riechen kann, und er ist auf der Jagd“, flüsterte Saul mir ins Ohr. Ich nickte nur knapp, um ihn wissen zu lassen, dass ich ihn verstanden hatte.
Vielleicht ein Söldner? Oder steckt was anderes dahinter?
Während ich mir das durch den Kopf gehen ließ, betrachtete ich diesen neuen Mitspieler genauer. Suchte er nach Robbie oder nur nach Ärger? Es hatte nicht den Anschein, als würde er unseren verängstigten Zeugen beobachten, aber er hatte bestimmt nichts Gutes im Sinn. Und wenn Saul Waffen und Gewaltbereitschaft an ihm riechen konnte, dann sollte ich mich womöglich einmal mit ihm unterhalten.
Nennt mich paranoid, aber ich glaube nur äußerst selten an Zufall. In Situationen wie dieser bekommt der Zufall nämlich meistens von jemandem ein wenig Nachhilfe.
„Greif dir unseren Zeugen. Von mir aus kannst du ihn schon mal befragen, wenn du willst.“ Ich zog ein schmales, schwarz lackiertes Messer aus der Scheide und versteckte es mit der Klinge nach oben an meinem Arm. „Ich geh mal unsem neuen Freund da drüben besuchen.“
„Alles klar. Wo soll ich unser Nervenbündel hinbringen?“
Innerhalb von Sekunden ging ich im Geiste ein paar Orte und Entfernungen durch. „Bring ihn zu Woo Song und lade ihn zum Abendessen ein, aber er soll ja nicht noch mehr trinken. Ich komme, so schnell es geht, nach. Versuche, jedes kleine Detailfitzelchen aus ihm rauszukriegen. Und sei nett zu ihm.“
„Geht klar.“ Dann schenkte er mir noch einen Blick, als wolle er sagen sei vorsichtig. Aber er ließ es. Stattdessen beugte er sich vor, küsste mich auf die Schläfe und glitt davon. Und mit ihm ging meine Wer-Tarnung.
Ich lief schräg über die Straße, in einem Winkel, in dem mich der mysteriöse Unbekannte nicht sehen würde.
Als ich die Hälfte der Strecke über den Broadway hinter mich gebracht hatte, bemerkte ich leider, dass unser neuer Freund nicht alleine war. Seine Verstärkung saß auf dem Dach, und spätestens als im Asphalt hinter mir Kugeln einschlugen und überall großes Geschrei losbrach, wurde mir klar, dass das nicht normal war. Nichts von alledem hier war normal. Und für gewöhnlich endete so was damit, dass Jill Kismet mächtig in der Scheiße saß.
Ich rollte mich ab und ging hinter einem geparkten Wagen in Deckung. Glas splitterte. Wer auch immer der Schütze war, er hatte ein beschissenes Sturmgewehr und schredderte damit das Auto. Ich ließ das Messer verschwinden und nahm mir die Zeit für ein Stoßgebet für die Zivilisten auf der Straße. Möglichst keine Opfer, Jill.
Natürlich abgesehen von denen, die du erwischen willst.
11
Wenn eine Schießerei im Gange ist, läuft das nicht so ab wie im Film. Die meisten Schusswechsel sind in weniger als sieben Sekunden wieder vorbei, und meistens wird auch niemand verletzt. Zumindest bei der normalen Bevölkerung der Lichtseite, so ist das nun mal.
Aber eine Schießerei unter Nachtschatten ist eine ganz andere Geschichte. Zuerst einmal kommen sie so gut wie nie vor, weil die meisten Dämonen und anderen Dinger, mit denen wir Jäger es zu tun bekommen, stark genug sind, um keine Kanonen nötig zu haben. Und Jäger warten nur mit schwerem Geschütz auf, um für ein wenig mehr Chancengleichheit zu sorgen.
Doch diese Jungs hier gehörten nicht zur Schattenwelt. Wenn ich nicht völlig daneben lag, waren es Menschen, deren Job es war, Unruhe zu
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