Schattenjagd
wir den Unterschlupf in der North Lucado niedergebrannt hatten. Und jetzt Organhandel und ein Wendigo? Saul, bist du dir sicher? Wirklich sicher?“
„Hundertprozentig.“ Saul zog die Schultern hoch und ließ mich nicht aus den Augen. „Die wirklich schlechte Neuigkeit ist, dass ich nicht weiß, ob man ihn überhaupt töten kann. Immerhin ist der Wendigo ein Geist, Kätzchen. Fleisch gewordene Gier, die Essenz von Hunger. Er ist unantastbar, hat keinen wirklichen Körper, zumindest nicht mehr. Er besteht nur … aus Fresslust. Und Eis.“
Ich nahm einen immens großen Schluck Kaffee, der inzwischen auf eine annehmbare Temperatur abgekühlt war. „Er hat mich verletzt.“ Die Entschlossenheit in meiner Stimme überraschte mich selbst. „Wenn er andere verletzen kann, dann kann er auch verletzt werden. Da draußen gibt es nichts, was so schlimm wäre, dass man es nicht töten könnte. Abgesehen vielleicht von einem Gott, aber im Moment haben wir es mit keinem zu tun. Zumindest nicht in den nächsten vier Tagen. Was weißt du sonst noch über Wendigos? Wie entstehen sie, was kann ihnen schaden, und so weiter.“
„Ich weiß nicht viel.“ Offenbar erleichtert, richtete Saul sich auf. „Aber ich kann mich mit jemandem in Verbindung setzen, der sich besser auskennt.“
„Gut.“ Nun richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Essen. „Das ist wirklich lecker, Saul. Deine Pfannkuchen sind einfach unschlagbar!“
Auch ohne aufzusehen, wusste ich, dass er lächelte. „Freut mich, dass es dir schmeckt, Kätzchen.“
Monty war kurz vorm Durchdrehen.
„Was zur Hölle erzählst du mir da, Jill?! Organe auf dem Schwarzmarkt? Was soll die Scheiße?“ Er rannte in seinem Büro umher, als erwarte er, dass der Täter sich hinter einem Stapel Papier versteckte. „Warum hast du nicht schon früher was gesagt?“
Hätte ich früher davon erfahren, hätte ich dir auch eher davon erzählt, Monty. Reg dich ab. „Ich hatte keinen blassen Schimmer, dass Organhandel im Spiel ist. Ich war auf der Suche nach einer übernatürlichen Erklärung. Erst die Skalpellabdrücke haben mich auf diese Idee gebracht.“
„Sullivan und Badger ermitteln schon seit einer Weile in einer Serie von Organrauben, bei der die edlen Spender mit einer Kugel im Schädel enden.“ Montys Krawatte hing lose unter einem verknitterten Kragen. Der alte Hase arbeitete rund um die Uhr, und das tat ihm nicht gut.
Andererseits ist Polizeiarbeit genau genommen für niemanden eine Wohltat. Selbstmord, Magengeschwüre, Zynismus, Depressionen – man könnte die Liste der Symptome endlos weiterführen. Ich holte tief Luft. Jäger zu sein war auch kein Zuckerschlecken, aber wenigstens konnte ich meinen Frust beim Sex oder Training rauslassen. „Na ja. Vielleicht besteht ein Zusammenhang?“, überlegte-er.
Montys Büro erschien zu klein für all seinen Ärger. Zum Glück war er nicht sauer auf mich. Er stampfte hinter seinen Schreibtisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, wo er beinahe unterging hinter all den Aktenbergen und den Ansammlungen von anderem Kram. „Am besten, du redest mal mit ihnen. Schau dir ihre Notizen an. Wir greifen uns so lange diesen Doktor, diesen Kricky …“
„Kricekwesz. Pole, soviel ich weiß.“ Als ob das eine Rolle spielte.
Monty rieb sich die Augen. „Wie er verflucht noch mal auch heißen mag! Wir schnappen ihn uns. Andererseits – wenn der Strippenzieher hinter alldem dafür sorgt, dass noch ein paar mehr Drecksäcke von Rocaderos Kaliber von der Bildfläche verschwinden, schmeiß ich für ihn vielleicht lieber eine beschissene Parade.“
„Auch wenn er die Straßen von schwangeren Huren säubert?“ Mein Tonfall war härter, als nötig gewesen wäre. Aber verflucht noch eins, jeder vergaß immerzu die Opfer – die Mädchen, die sich auf der Straße die Füße wundlaufen; die Mädchen, die in ihrem Leben schon viel zu oft vergessen und im Stich gelassen worden sind.
Komm mal wieder runter von deinem hohen Ross, Kismet. Du bist doch auch nicht besser, du warst auch mal eine von ihnen. Nur stecken sie noch immer drin in diesem Leben. Auf der Straße. Schlucken Gott weiß was und tun, worüber niemand sprechen will, um dann einen Anteil ihres sauer verdienten Gelds an den Zuhälter, Dealer oder einen anderen Typen abzutreten, der sie „liebt“. Himmel. Selbst ich verabscheue sie. Obwohl ich es nun wirklich besser wissen sollte.
Montys Schweigen war mir eine Warnung. Ich senkte den Blick auf den
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