Schattenjagd
sie vielleicht auch, wie man die Beschwörung, die diese dumme Schlampe durchführen will, kurzschließen kann. Und womöglich kann sie uns auch sagen, ob dieser Wendigo daran beteiligt ist. Ich muss nur einen Weg finden, ihr mitzuteilen, dass ich bereit bin, mit ihr zu reden.“
„Wie willst du das anstellen?“
„Ganz einfach. Einen Hinweis ins richtige Ohr flüstern und abwarten, bis er bei ihr ankommt.“
„Was für ein Ohr?“
„Nur die Ruhe, Saul. Ich hab mich bereits um alles gekümmert. Perry hat das Gerücht heute Morgen verbreitet.“ Ich hakte mich bei Saul unter. „Rosie und Carp sollen sich mit Badger und Sullivan zusammentun, und sobald sie den Arzt aufgetrieben haben, werden wir uns mit ihm unterhalten. Danach werden wir im Buchladen von Hutch vorbeischauen und uns auf die Suche nach Informationen über Wendigos machen.“
Badger war eine kleine rundliche, gemütliche Frau, deren Haare über der linken Schläfe weiß waren. Sullivan war ein dünner, hochgewachsener Ire mit roten Haaren und einer Vorliebe für Cowboyhüte. Einige der Kollegen, die einen ausgeprägten Polizeihumor hatten und dazu noch recht mutig waren, nannten sie manchmal auch Dick und Doof, was Badger und Sullivan allerdings auf bewundernswerte Art von sich abprallen ließen.
Sie hatten stapelweise Informationen über den Organschmuggel in Santa Luz, zu viel, als dass ich alles auf einmal verarbeiten konnte. Deshalb hatte Badger – gepriesen sei ihr vorausschauendes kleines Herz – mir bereits Kopien von den interessanteren Fällen gemacht und eine Übersicht der Fakten zusammengestellt.
Während Saul fuhr, saß ich auf dem Beifahrersitz und las. Perrys breite, schwarze Limousine blieb immer dicht hinter uns. Ich wusste nicht recht, ob es mir gefiel, von diesem bösen Omen verfolgt zu werden, vor allem tagsüber. Aber Saul machte so eine ernste Miene, dass ich lieber keine falsche Bemerkung riskieren wollte. Was er mit Perry wohl für eine Abmachung getroffen hatte? Doch auch diese Frage schluckte ich hinunter.
Es herrschte wenig Verkehr, als wir in der Quincoa Street ankamen, wo Saul in der gleichen Gasse wie zuvor parkte. Perrys glänzender schwarzer Wagen blieb mit laufendem Motor auf der anderen Straßenseite stehen – dass er in diese Gegend so gar nicht passte, kümmerte ihn offenbar nicht groß. Ich warf einen Blick gen Himmel – noch immer schien die Sonne. Bei Tag wirkte die Höllenbrut weniger bedrohlich, doch die Limousine hatte getönte Scheiben. Perry machte keine Anstalten auszusteigen, und einmal mehr fragte ich mich, was genau er eigentlich war.
Konnte die Sonne ihm gefährlich werden? Oder wollte ersieh schlicht nicht zeigen? Spielte er Spielchen?
Diesmal verschanzten wir uns nicht, um das Gebäude zu beobachten.
Nein, diesmal trat Saul die hermetisch verriegelte Tür beim zweiten Versuch ein, wobei das Bolzenschloss sich aus dem weicheren Metall des Rahmens löste. Mit gezückter Pistole glitt ich in den Flur und wich sofort wieder zurück, als mir ein bestialischer Gestank entgegenschlug.
„Gott im Himmel!“ Ganze drei Schritte flüchtete ich vor dem Mief, bis zum Ende der Treppe. Es roch nach Tod und dazu wie in einem Tiergehege. Saul rümpfte die Nase und warf mir einen Blick zu. Er hatte seine SIG Sauer gezogen und sicherte die Tür. Mir war kotzübel. „Was zum Teufel ist das?“
„Gestank. Und eine versiegelte Tür.“ Er klang gefasst, aber ich bemerkte den Ekel in seiner Stimme. „Es stinkt nach mehr als einer.“
„Wie viele?“
„Lässt sich nicht sagen.“
„Der Wendigo …“
„Ja, den rieche ich auch. Aber seine Fährte ist alt. Er war schon ein oder zwei Tage nicht mehr hier.“
„Himmel.“ Meine Augen fingen an zu tränen, und ich musste husten. „Na schön. Ruf Montaigne an und sag ihm, wir sind auf einen Tatort gestoßen. Ich gehe jetzt rein.“
„Jill …“
„Komm schon, Saul. Ich bin hier die Jägerin. Draußen an der Ecke gibt es eine Telefonzelle. Oder du benutzt das Handy in Perrys Wagen, wenn es nicht anders geht. Beeilung, damit du zurückkommen und mir Deckung geben kannst.“ Obwohl ich nicht glaube, dass da drin noch irgendwas am Leben ist.
Saul blickte eisig drein, doch dann rauschte er mit wehendem Mantel an mir vorbei und war auch schon verschwunden, nachdem er die Treppe mit einem einzigen Sprung genommen hatte. Das Silber in seinem Haar klirrte wütend. Als er den halben Weg die Straße hinunter war, nahm ich mit einer Hand das Lederarmband
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