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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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ihr, versuchte sie hinter der unsichtbaren Mauer hervorzulocken, die sie rings um sich aufgebaut hatte.
    Für Faye war die Bekanntschaft mit David ein völlig neues Erlebnis. Sie hatte nicht gewusst, dass es solche Männer gab. Er war freundlich, sanftmütig, kein bisschen bedrohlich. Und er redete nicht nur mit ihr, er hörte ihr auch zu.
    Er erzählte viel von sich selbst, von seinem Zuhause, seiner Familie, und sie beneidete ihn. Inständig wünschte sie, es wäre ihr möglich, ihre Vergangenheit mit seiner zu vertauschen, mit einer behüteten Kindheit, von liebevollen Eltern geprägt.
    Ihre eigene Familie erwähnte sie nicht, bis sie eines Tages versehentlich von ihren Pflegeeltern sprach. Nervös wartete sie auf einen Kommentar, eine Frage, aber David schien nichts Merkwürdiges daran zu finden und ihre Panik nicht wahrzunehmen.
    Je besser sie ihn kennenlernte, desto lieber mochte sie ihn – und desto klarer wurde ihr, dass sie ihm niemals die Wahrheit über sich selbst gestehen durfte. Sie würde es nicht ertragen, Ekel in seinen Augen zu lesen, ihn zurückschrecken zu sehen, als hätte sie die Pest.
    Ein potenzieller Liebhaber war er nicht in ihren Augen. Mit ihm zu schlafen wäre ihr wie ein Sakrileg erschienen, obwohl es ihr gelang, sich eine solch intime Situation furchtlos vorzustellen. Sie betrachtete ihn als Freund, jemanden, zu dem sie aufblickte, den sie fast verehrte. Seine Güte beglückte sie, seine Einfühlsamkeit zog sie fast zwanghaft an.
    Sie wusste, dass die Freundschaft nur von kurzer Dauer sein würde. Bald musste sie die Universität verlassen, und auch seine Dozentenstellung war befristet. Demnächst wollte er nach Hause zurückkehren und die Leitung der Spinnerei übernehmen, die seine Mutter aufgebaut hatte.
    Es fiel Faye schwer, sich Davids Mutter vorzustellen. Offenbar vergötterte er sie. Aber nach allem, was Faye über diese Frau gehört hatte, musste sie ziemlich überwältigend sein.
    Nun, das spielte keine Rolle. Bald würden sich Davids und Fayes Wege trennen. Und so genoss sie die Zeit, die sie noch mit ihm verbringen konnte, die fast zufälligen Begegnungen, die stets zu langen Diskussionen führten.
    Sie wusste, dass die Beziehung einige Leute amüsierte und Neugier erregte, doch das störte sie nicht. Niemals wirkte David so bedrohlich auf sie wie andere Männer. Obwohl sie nie mit ihm allein war – kein einziges Mal hatte er sie in seine Wohnung eingeladen oder einen Besuch in ihrem Zimmer vorgeschlagen –, würde sie sich in trauter Zweisamkeit mit ihm genauso sicher fühlen wie auf einer Versammlung der Studentengewerkschaft.
    Und dann erlitt sie einen schweren Schicksalsschlag. Die Prüfungsergebnisse wurden bekannt gegeben, und Faye erhielt statt der ersehnten Note Eins nur eine Drei.
    Der Schock ließ sie beinahe schwindeln, während sie durch die Korridore ging. Ein Teil ihres Gehirns dachte immer noch logisch, und sie sagte sich, Jeremy Catesby habe für die schlechte Note gesorgt, um sich an ihr zu rächen. Aber schließlich gab sie sich selbst die Schuld. Sie musste die Qualität ihrer eigenen Leistungen falsch eingeschätzt oder in ihren Bemühungen nachgelassen haben. Unvorstellbar, dass ein Tutor, der eine so verantwortungsvolle Vertrauensstellung einnahm, seine Macht dermaßen missbrauchte …
    David sah, wie sie leichenblass den Innenhof der Universität durchquerte. Beinahe verlor er sie aus den Augen, als er sich einen Weg zwischen den Studentenmassen bahnte, die aus den Gebäudetrakten strömten, erkannte aber, dass sie die Richtung zur Bibliothek einschlug. In einem menschenleeren Flur holte er sie ein, griff von hinten nach ihrem Arm und spürte ihr heftiges Zittern. „Nein!“, rief sie entsetzt, dann drehte sie sich zu ihm um und wurde feuerrot. „David – ich…“, stammelte sie mit schwacher Stimme.
    „Ist was passiert?“
    Sie konnte nur die Achseln zucken.
    „Komm, hier können wir nicht reden, wir gehen in meine Wohnung.“ Willenlos folgte sie ihm durch ein Labyrinth aus Korridoren. Die Räume waren sauber und spärlich eingerichtet, fast asketisch, und die strenge Atmosphäre wirkte irgendwie tröstlich. Mit sanfter Gewalt drückte er Faye in einen Sessel. „Also, was ist los? Deine Note …“
    „Nur eine Drei“, flüsterte sie. „Und ich hätte eine Eins gebraucht.“
    Er runzelte die Stirn. Nach Ansicht der meisten Professoren und Dozenten hätte Faye eine Eins verdient. Und dann erinnerte er sich an ein Gespräch zwischen Catesby

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