Schattenjahre (German Edition)
Studentin geschwängert hatte.
Jeremy war nicht der einzige Tutor, der seinen weiblichen Schützlingen neben akademischen auch andere Dinge beibrachte. Doch seine Brutalität, seine Selbstsucht, der Wunsch, stets zu dominieren und den Mädchen seelisches Leid zuzufügen, gingen über bloße sexuelle Begierde hinaus.
In Oxford hatte David gehört, Jeremy sei ständig hinter Frauen her. Während des Studiums waren Catesbys Möglichkeiten natürlich begrenzt gewesen, aber jetzt, wo er als Tutor arbeitete …
David bedauerte Faye und fand die Gerüchte ekelhaft, und seine Abneigung gegen Jeremy wuchs. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen widerstrebte es ihm, seine Studentinnen zu verführen. Eines Tages würde er heiraten. Cottingdean brauchte einen Erben. Bei diesem Gedanken lächelte er vor sich hin. Das Landgut Cottingdean – wichtig im Leben seiner Eltern, so geliebt und gehegt … Man konnte fast glauben, er wäre der Erbe eines feudalen Königtums, wenn man beobachtete, wie viel das Haus und das Land den beiden bedeutete.
Einmal, während seiner Teenagerjahre, hatte er der Mutter, die ständig von seiner Zukunft und ihren ersehnten Enkeln sprach, vorsichtig zu verstehen gegeben, er müsse nicht unbedingt heiraten. Da gebe es noch Sage, und auch ihre Kinder könnten Cottingdean erben.
Mutters Reaktion war ebenso spontan wie aufschlussreich gewesen. Nein, nur sein Sohn dürfe alles erben, hatte sie kategorisch erklärt. Diese heftig hervorgestoßenen Worte bereiteten ihm Unbehagen. Sicher, er wusste, dass er ihr Lieblingskind war, und das missfiel ihm. Er tat sein Bestes, um die ungleichmäßig verteilte Zuneigung der Eltern an seiner jüngeren Schwester gutzumachen.
Ja, eines Tages würde er heiraten, und er wünschte sich eine Frau, die kühle Zurückhaltung ausstrahlte, wie das Mädchen in der Bibliothek. Manchmal fand er die modernen jungen Frauen etwas dreist, insbesondere in sexueller Hinsicht. Früher hatte er sich gefragt, ob sein Mangel an sinnlicher Begierde einer uneingestandenen Vorliebe für das eigene Geschlecht entsprang, sein Innenleben gründlich erforscht, aber nichts entdeckt, was auf eine solche Möglichkeit hingewiesen hätte. Noch nie war er von einem anderen Mann gefühlsmäßig oder sexuell fasziniert worden.
Er mochte Frauen und bewunderte sie. Hin und wieder amüsierte es ihn, seinen Studentinnen zuzuhören. Und er verglich sie oft mit seiner Mutter, die so vieles getan hatte, wovon sie träumten, zu einer Zeit, wo Karrierefrauen noch sehr selten gewesen waren.
Seine Unschuld hatte er auf der Universität an eine Studentin verloren. Belustigt über seine Unerfahrenheit, war sie gern bereit gewesen, ihm gewisse Dinge beizubringen. Zärtlich und dankbar erinnerte er sich an sie, erkannte aber, dass er kein Partner für eine Frau mit stark ausgeprägtem Sexualtrieb war. Vielleicht lag das teilweise an der Ehe seiner Eltern. Wie immer die Beziehung früher ausgesehen haben mochte – derzeit führten sie kein Sexualleben. Viel mehr als das Zölibat beeindruckte ihn die Tatsache, dass diese Ehe – sie basierte nicht auf wechselseitigem sexuellen Verlangen, sondern auf Respekt und Freundschaft – im Gegensatz zu vielen anderen nicht scheiterte. Natürlich zeigte sogar die beherrschte Miene der Mutter manchmal, welch eine Belastung es sein musste, mit einem Invaliden verheiratet zu sein.
Wie David nur zu gut wusste, passte er nicht zu seiner Generation. Deren Entschlossenheit, die gesellschaftlichen Barrieren zu durchbrechen, die alle vorangegangenen Generationen beherrschthatten, war ihm fremd. Möglicherweise hing der neue Zeitgeist mit der großen Anzahl junger Leute zusammen. Die Kinder, kurz nach dem Kriegsende geboren, bildeten bei Weitem das umfangreichste Element der Bevölkerung. Es interessierte David, zu beobachten, wie sich dieser Trend weiterentwickeln, ob die Teenagergeneration der sechziger Jahre mit ihrer Musik, ihren Idealen, ihrer Weigerung, sich irgendwelchen Konventionen zu beugen, ihr Leben lang Aufmerksamkeit erregen und dominieren würde.
Auch Faye passte nicht zu dieser Generation, besaß nichts von deren Entschlossenheit und Aggressionslust, dem Glauben auf das Recht, nach Belieben sexuell aktiv zu werden – wann, wo und mit wem man es wünschte. Dieses Mädchen weckte in David Beschützerinstinkte, das Bestreben, für sie zu sorgen – ein Gefühl, das er nie zuvor empfunden hatte.
Bald ertappte er sich dabei, wie er Begegnungen arrangierte. Er sprach mit
Weitere Kostenlose Bücher