Schattenjahre (German Edition)
Sie, dass die Studenten untereinander Wetten abschließen? Dabei geht es um die Frage, wer Sie als Erster ins Bett kriegen wird. Und wenn Sie die Universität verlassen und in die Welt hinausziehen, dürfte Ihre Jungfräulichkeit ein noch größeres Problem werden. Aber es gibt eine Lösung.“
Faye hörte die Belustigung, die in seinen Worten mitschwang, das überlegene Selbstvertrauen und den heißen Unterton männlicher Begierde. Irgendwie gelang es ihr, aufzustehen. Als hätte er das erwartet, bewegte er sich noch schneller, trat vor sie hin und packte ihre Schultern. Die Bücher und Papiere glitten aus ihren Händen, Panik und Übelkeit erfassten sie, während er den Kopf herabneigte. Sie reagierte instinktiv, fuhr ihm mit allen Fingernägeln ins Gesicht, zerkratzte ihm die Wangen. Fluchend ließ er sie los. Sie hörte es kaum, rannte zur Tür, stieß sie auf, prallte beinahe mit einem Mann zusammen, der den Korridor entlangging. „Dummes Biest!“, hörte sie Jeremy Catesby hinter sich schimpfen.
Es spielte keine Rolle, wie er sie nannte. Nur eins zählte – sie war geflohen, er hatte sie nicht gequält wie damals ihr Stiefvater, ihr nicht wehgetan, sie nicht bestraft.
In ihrem Zimmer sank sie zitternd aufs Bett. Sie wusste, dass sie nun einen gefährlichen Feind hatte. Jeremy Catesby war ein eitler Mann und würde ihr die Zurückweisung nie verzeihen. Doch das kümmerte sie nicht. Der Gedanke, er oder ein anderer Mann könnte sie je wieder anfassen, widerte sie dermaßen an, dass sie alles ertragen wollte, um eine solche Demütigung zu verhindern.
Jeremy Catesby bestrafte sie, peinigte sie auf subtile und weniger subtile Weise. Das Gerücht kam ihr zu Ohren, sie habe sich an ihn herangemacht, sei jedoch abgewiesen und ernsthaft getadelt worden. Nun wurde sie zur Zielscheibe hässlicher Witze. Erleichtert atmete sie auf, als man sie einem anderen Tutor zuteilte.
Immer öfter blieb sie allein, wollte nur noch ihr Studium beenden und sich dann irgendwo verkriechen, wo ihr niemand wehtun und Schaden zufügen konnte.
Vier Tage nach ihrer schriftlichen Abschlussprüfung lernte sie David kennen. Sie saß gerade in der Universitätsbibliothek, um eine bestimmte Stelle aus einem Buch herauszusuchen. Offenbar glaubte er, sie gehörte zum Personal, denn er bat sie um Hilfe.
Trotz seiner Größe und der breiten Schultern strahlte er irgendetwas aus, das sie sofort beruhigte – etwas Sanftes, Tröstliches, das sie anzog wie eine kühle Brise an einem heißen Tag, wo die schwüle Luft ein Gewitter ankündigte.
Ohne sich bewusst zu werden, wieso es geschah, machte sie einen Schritt auf ihn zu und dann noch einen. Er erklärte, er suche Bücher über das mittelalterliche England, mit besonderer Berücksichtigung des dörflichen Lebens. Dieses Thema fasziniere seine Mutter, und er habe ihr versprochen, bevor er seine Vorlesung halten würde, in der Bibliothek nach einschlägigen Büchern zu fragen.
Er war also Dozent. So sah er nicht aus. Er sah überhaupt anders aus als alle Männer, die Faye kannte. Etwas ganz Besonderes unterschied ihn von seinen Geschlechtsgenossen. Sie konnte sich nicht erklären, woran es liegen mochte. Jedenfalls verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben den Wunsch, einen Mann zu berühren.
Nachdem sie ihm die Bücherregale gezeigt hatte, wo er das Gesuchte finden würde,beobachtete sie ihn neugierig und verstohlen. Was in aller Welt mochte es sein, was eine so magische Anziehungskraft auf sie ausübte?
Als er sich ein paar Bücher genommen hatte, dankte er ihr lächelnd. Was unterschied ihn so sehr von den übrigen Männern, denen sie in ihrem bisherigen Leben begegnet war?
Wie sie bald feststellte, fand ihn nicht nur sie selbst „anders“. Sein Spitzname in Studentenkreisen lautete „heiliger David“, und die meisten schienen ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Zuneigung zu betrachten.
Sein Fachgebiet war Geografie, was Faye verblüffte. Ohne sich zu fragen, warum, hatte sie automatisch angenommen, er wäre Dozent für Philosophie.
Was sie nicht wusste – er war der Mann, den sie im Korridor nach der Flucht aus Jeremy Catesbys Zimmer beinahe umgerannt hätte. In der Bibliothek erkannte er sie wieder, nachdem er anfangs irrtümlich gedacht hatte, sie gehöre zum Personal. Er wusste auch, welche Gerüchte über sie kursierten, welch schlechten Ruf Jeremy Catesby in Oxford genoss und dass der Tutor von seinem früheren Posten suspendiert worden war, weil er angeblich eine
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